»Wild Feelings«: Warum will mein Kind lieber mich als in ein Kissen hauen?
Im Alltag mit Kindern gibt es viel Raum für Konflikte. Das fängt schon mit dem morgendlichen Zähneputzen an. Vielen Eltern sei es heute ein Anliegen, dass ihre Kinder Wut, Frust und Ärger ausleben dürfen, ohne für diese Gefühle abgestraft zu werden, erklärt die Pädagogin Eliane Retz in ihrem Buch. Doch der Wunsch, es besser zu machen als frühere Generationen, beantworte noch lange nicht die Frage, wie das gelingen kann.
Orientierung für Eltern in Not
Das zeigt die Autorin im ersten Teil exemplarisch anhand von zehn Fällen aus ihrer Praxis. Sie stellt Familien vor, die an ihre Grenzen gelangt sind. Etwa die von Ilay (3), der seit der Geburt seiner kleinen Schwester intensive Wutausbrüche hat und seine Mutter Yasemin täglich zur Verzweiflung bringt. Diese fühlt sich schuldig, war ihr Sohn doch offenbar noch nicht bereit für das Geschwisterchen. Oder Nils, der seinem Sohn als alleinerziehender Vater eine möglichst glückliche, unbeschwerte Kindheit ermöglichen will – und angesichts des aggressiven Verhaltens von Mats (4) nicht mehr weiterweiß.
Eliane Retz lädt Eltern dazu ein, stetig die Perspektive zu wechseln und nach dem Warum des jeweiligen Verhaltens zu fragen. Dabei bleibt sie stets wertschätzend und hat das Wohl und die Grenzen aller Familienmitglieder im Blick. Denn dem Verhalten anderer Grenzen zu setzen, ist oft wichtig, um eigene Grenzen wahren zu können. Zudem erarbeitet sie Lösungen für einen entspannteren Alltag und verdeutlicht, wie kleine Veränderungen im Familiensystem Großes bewirken können.
Im zweiten Teil des Buchs widmet sich die Autorin nach einem kurzen Blick auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur kindlichen Entwicklung vor allem Antworten auf alltägliche Fragen, die Eltern auf der Seele brennen, zum Beispiel »Darf ich mein Kind ablenken? Ich habe gelesen, das ist falsch«, »Was unterscheidet Grenzen von Strafen?« oder »Warum will mein wütendes Kind lieber mich statt in ein Kissen hauen?«.
Das ganze Familiensystem im Blick
Dabei räumt die systemische Beraterin mit gängigen Missverständnissen auf und macht ihrer Profession entsprechend klar: »Wut, Aggression, Traurigkeit und Angst entwickeln sich nicht ›einfach so‹. Sie sind eingebettet in ein Familiensystem.« Sie sind in aller Regel beziehungsbezogen. Daher möchte Ihr Kind auch lieber Sie als das Kissen hauen. Auf das Kissen ist es schließlich nicht wütend.
Die Autorin macht klar: Kinder brauchen Bindungspersonen, die ihnen dabei helfen, Gefühle, Erlebnisse und Bedürfnisse einzuordnen. Wut, Scham und Angst verlieren dadurch ihre Bedrohlichkeit. Gleichzeitig räumt sie mit falschen Vorstellungen und überzogenen Erwartungen auf. So schreibt sie: »Eltern sind nicht in der Lage, stundenlang neben ihrem schreienden Kind auf dem Boden zu sitzen.« Ein Kind, das sich in einem Wutausbruch befindet, zu begleiten, sich nicht von den Emotionen mitreißen zu lassen und Mitgefühl zu zeigen, ist eine schwierige und kräftezehrende Aufgabe. Das weiß jeder, der das mal erlebt hat. Und das gelingt nicht immer, muss es aber auch nicht. Auch einfühlsame Eltern machen Fehler oder interpretieren Situationen falsch.
Eltern können aus der Lektüre viele Anregungen und Ideen für einen guten Umgang mit schwierigen Gefühlen und Konfliktsituationen mitnehmen. Etwa hilfreiche Gedanken wie »Auch dieser Wutausbruch wird vorüberziehen« oder beispielhafte Sätze für eine liebevolle und klare Kommunikation, wenn es darum geht, Grenzen zu setzen – oder einfach nur dafür zu sorgen, dass die Zähne geputzt werden.
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