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Buchkritik zu »Wildlife«

Organisierte Banden von Wilderern treiben in Kenias Nationalparks ihr Unwesen. Sie schlachten mit automatischen Waffen ganze Elefantensippen wegen ihrer wertvollen Stoßzähne ab, terrorisieren die Landbevölkerung und überfallen Touristen. Korrupte Beamte der Naturschutzbehörde (Wildlife and Conservation Management Department, WCMD) machen mit den Wilderern gemeinsame Sache, und etliche Wildhüter schießen gar selbst Elefanten. Dabei sind diese das Aushängeschild für Kenias Tourismusbranche und akut bedroht: Von dem in zehn Jahren von 85000 auf 22000 Tiere geschrumpften Bestand werden durchschnittlich drei pro Tag gewildert.Das ist die Situation, in der Kenias Staatspräsident Daniel arap Moi im April 1989 Richard Leakey zum Chef des WCMD ernennt. Zu jener Zeit ist Leakey bereits ein international bekannter Mann. Mit erst 23 Jahren ist er ohne nominelle Ausbildung Direktor des Nationalmuseums geworden und hat es über zwanzig Jahre lang zu einer ersten Adresse in Afrika ausgebaut. Vortragsreisen, eine Fernsehserie sowie Bestseller-Bücher (Spektrum der Wissenschaft 08/1995, S. 115 und 08/1998, S. 112) haben dem Urmenschen-Forscher, Naturkundler und patriotischen Kenianer zu exzellenten Beziehungen und Ansehen verholfen.Leakey sagt Wilderei und Korruption den Kampf an, und sein Leben wird zu einem Husarenritt durch die Konfliktfelder afrikanischer Naturschutzpolitik und in die Hinterhalte von Machtinteressen. Er setzt durch, dass Präsident Moi für den Minister für Tourismus und Naturschutz "eine neue Arbeit findet". Er erhält grünes Licht, um 1600 korrupte oder überflüssige Mitarbeiter (von insgesamt über 4500) des WCMD loszuwerden und selbst Personal einzustellen. Im Ausland wirbt er innerhalb kurzer Zeit mehrere hundert Millionen Dollar ein – überwiegend bei der Weltbank – und baut eine neue schlagkräftige Naturschutzbehörde auf, den halbstaatlichen Kenyan Wildlife Service (KWS). Das Parlament genehmigt Nato-Sturmgewehre für die Wildhüter, um die ebenfalls mit Kriegswaffen ausgerüsteten Banden zu bekämpfen. Mit hohem Blutzoll auf beiden Seiten – Wilderer ergeben sich selten – gehen Bandenterror und Wilderei drastisch zurück, die Touristen sind wieder sicher.Mit spektakulären Aktionen bringt Leakey Wilderei und Elfenbeinhandel in die Medien und zusammen mit anderen Staaten den Afrikanischen Elefanten in den Anhang I des Washingtoner Artenschutzabkommens CITES. Damit ist der Handel mit Elfenbein weitgehend verboten. Als er auch von Abnehmerländern wie den USA und den EU-Staaten eingestellt und durch Medienkampagnen geächtet wird, bricht der Preis des einst begehrten Stoßzahnmaterials ein.Leakey geht mit ungestümer Energie zu Werke und scheint durch nichts aufzuhalten zu sein. So stößt er einige Naturschutzverbände vor den Kopf, weil er deren "untaugliche" Projekte auf Eis legt. Menschenrechtsorganisationen kreiden ihm an, dass er Nomaden aussiedelt, die sich illegal ganzjährig in Nationalparks niedergelassen hatten, und auf Wilderer schießen lässt.All das erzählt Leakey freimütig, in direkten, klaren Worten, knappen Bildern und mit britischem Gleichmut. Er äußert seine eigenen Gefühle und achtet sehr genau auf die Befindlichkeiten seiner Gesprächspartner. Dabei ist seine Sprache nicht sehr originell; seine Koautorin, die amerikanische Reise-Journalistin Virginia Morell, hat seine Aufzeichnungen offenbar nicht wesentlich aufgewertet. Leakey fasziniert mit seiner Authentizität: Er "trägt sein Herz auf der Zunge", er kann hart austeilen, aber auch beobachtend neben sich stehen und Selbstkritik üben.Seine groß angelegten Naturschutz-Projekte sehen zunächst die Sicherung der Lebensräume in den Nationalparks sowie einen naturverträglich gesteuerten Tourismus vor. Zugleich will er den umliegenden Kommunen Gelder für die Entwicklung ihrer Infrastruktur zuschießen, wenn sie selbst die Instandhaltung von Straßen oder eigene Naturschutzprojekte in die Hand nehmen.Doch hier scheitert er. Vermutlich tragen nicht nur Gezänk mit Stämmen und Gemeinden sowie Neid und Habgier der politischen Elite dazu bei, sondern auch sein kompromisslos harter Kurs. Im März 1994 tritt Leakey zurück, nach schweren öffentlichen Angriffen von Regierungsmitgliedern und Zeitungskampagnen. Seine Gegner werfen ihm nun selbst Korruption, Rassismus und Missmanagement vor. Eine Untersuchungskommission der Regierung kann ihm jedoch nichts nachweisen. 1998 wird Leakey quasi rehabilitiert und erneut Chef des KWS, später sogar, bis zum März 2001, Leiter der obersten Verwaltungsbehörde.Über weite Strecken verfestigt sich der Eindruck, dass Leakey mit dieser Rückschau auf die schweren Vorwürfe zu seiner Amtsführung antworten will. Er begründet sein hartes Vorgehen oder gibt sich wehrlos gegenüber Gerüchten aus dem Dunstkreis der politischen Macht. Gern möchte man seiner Sicht der Dinge glauben, doch gibt es einige Ungereimtheiten. So spricht er auf Seite 244 von 1500 bewaffneten Mitarbeitern, an späterer Stelle erwähnt er nur 500 gegenüber seinem Vorgesetzten.Und da Leakey auf den ersten rund 120 Seiten zwischen der aktuellen Situation und historischen Ereignissen springt, leiert auch der Spannungsbogen zu einem der zentralen Ereignisse aus: der Verbrennung von rund 2000 konfiszierten Stoßzähnen im Wert von 3 Millionen Dollar am 18. Juli 1989 als Signal Kenias gegen den Elfenbeinhandel.Wilderei und Elfenbeinhandel sind auch im Jahr 2002 aktuell: Derzeit beantragen fünf südafrikanische Staaten bei CITES, den Elfenbeinhandel wieder zuzulassen; wenn dieses Heft erscheint, hat die 12. Konferenz zum Washingtoner Artenschutzabkommen in Santiago de Chile im November 2002 darüber entschieden.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 12/2002

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