»Wolfgang Pauli«: Genie im Halbschatten
Die moderne Physik entsprang den Köpfen einiger junger Theoretiker, und formuliert wurde sie in der Sprache der Mathematik. Die neuen Theorien verlangten dem an der Alltagswelt geschulten Hausverstand viel ab: Raum und Zeit verschmelzen zu einem vierdimensionalen Feld, das von der darin enthaltenen Materie verbogen wird und seinerseits deren Bewegungen bestimmt; Energie und Materie gehorchen Formeln, denen zufolge die Natur Sprünge macht und sich dabei sowohl wellenförmig als auch teilchenhaft benimmt.
Zu der kleinen Gruppe der Quantenpioniere gehört auch Wolfgang Pauli, geboren 1900 in Wien, gestorben 1958 in Zürich. Trotz seines Rangs als mathematischer Physiker, der ihn eigentlich in eine Reihe mit Namen wie Einstein, Heisenberg oder Schrödinger stellt, erlangte er nie deren Popularität. Das mag daran liegen, dass seine Resultate wegen ihrer Abstraktheit auf den ersten Blick weniger spektakulär wirken und sich besonders schwer in Metaphern der Umgangssprache übersetzen lassen. Dieses Schicksal teilt er mit einem anderen Genie aus der »zweiten Reihe« der Quantenpioniere, dem Briten Paul Dirac (1902–1984).
Umso verdienstvoller, dass Gerhard Ecker, Professor für Theoretische Physik an der Universität Wien, den großen Kollegen aus dem unverdienten Halbschatten holt. Dabei bringt Ecker das Kunststück fertig, von Wolfgang Pauli auf dem knappen Raum, den die Reihe »essentials« vorgibt, ein kompetentes und zugleich farbenfrohes Porträt zu zeichnen.
Von Anfang an zeigte Pauli eine eminente Begabung für mathematische Physik. Schon während des Studiums schrieb er quasi nebenbei eine profunde Darstellung der allgemeinen Relativitätstheorie, die deren Schöpfer, Albert Einstein, begeisterte. Das Thema der Dissertation war hingegen eine Anwendung der aktuellen Quantentheorie des Atombaus nach Niels Bohr und Arnold Sommerfeld auf das einfach positive Wasserstoffmolekül-Ion. Damit hatte der blutjunge Theoretiker seine überraschende Kompetenz auf den beiden Hauptgebieten der neuen Physik demonstriert.
Absolut originell war dann, wie Pauli einen fundamentalen Mangel des Bohr-Sommerfeld-Modells behob; es konnte nämlich nicht erklären, warum jedes Energieniveau der Atomhülle nicht von beliebig zahlreichen, sondern stets nur von so und so vielen Elektronen besetzt ist. Die Lösung präsentierte Pauli mit dem nach ihm benannten Ausschließungsprinzip: Es ist den Elektronen verboten, miteinander in sämtlichen ihren Zustand charakterisierenden Quantenzahlen übereinzustimmen.
Ausschließungsprinzip und Neutrino
Damit lieferte Pauli auch eine elegante Erklärung für den Aufbau des Periodensystems der chemischen Elemente: Es spiegelt das sukzessive Auffüllen der höheren Energieniveaus bei immer schwereren Atomen wider. Das alles funktionierte freilich nur, indem Pauli eine zusätzliche Quantenzahl einführte, die alsbald als Eigendrehimpuls der Elektronen interpretiert wurde, als deren »Spin«. Für die Entdeckung des Ausschließungsprinzips wurde Pauli 1945 mit dem Nobelpreis geehrt. Seine zweite Großtat war 1930 das Postulat eines neuen fundamentalen Teilchens, des Neutrinos, aus rein theoretischen Gründen: Es sorgt dafür, dass bei einem bestimmten radioaktiven Prozess, dem Betazerfall, das Gesetz der Energieerhaltung nicht verletzt wird. Der experimentelle Nachweis des extrem flüchtigen Partikels sollte erst fast drei Jahrzehnte später gelingen.
Ecker würdigt besonders, wie sehr Pauli als teils willkommene, teils gefürchtete kritische Instanz zur Weiterentwicklung der Quantenmechanik beitrug. Als Werner Heisenberg in seinen späten Jahren an einer fundamentalen »Weltformel« arbeitete, die – vergleichbar mit Einsteins Streben nach einer einheitlichen Feldtheorie – eine mathematische Theorie von Allem sein wollte, riskierte Pauli die lebenslange Freundschaft mit Heisenberg, indem er dies als vergebliche Liebesmüh verspottete.
Aus zahlreichen Anekdoten, die Ecker mit Genuss anführt, ergibt sich die Skizze eines teils liebenswerten, teils skurrilen Originals. Dazu passt ein zweites, weniger ernst gemeintes »Pauli-Prinzip«. Mit der Zeit gewann der Theoretiker unter Experimentalphysikern den Nimbus eines Störenfrieds, dessen bloße Anwesenheit Versuche misslingen lasse und teure Apparate zerstöre. Tatsächlich sollen mehrere prominente Physiker Pauli das Betreten ihrer Labore aus abergläubischer Furcht verboten haben.
Nur kurz streift Ecker den intensiven Flirt des zeitweilig von Depressionen geplagten Forschers mit der Psychoanalyse des Schweizers C. G. Jung. Dieser war, anders als sein Lehrmeister Sigmund Freud, esoterischen Spekulationen nicht abgeneigt und suchte allen Ernstes nach einer übersinnlichen Erklärung des zweiten Pauli-Effekts als »Synchronizitätsphänomen«. Doch das Verhältnis von Quantenphysik und Esoterik würde ein eigenes kleines Buch verdienen.
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