»Wortmedizin«: Die feinen Zwischentöne der Kommunikation
»Es tut mir leid, wenn du das falsch verstanden hast!« Klingt wie eine Entschuldigung, ist aber keine. Eher eine verbale Nebelbombe: Wer sich so verquast entschuldigt, tut sich höchstens selbst leid, weil er so schrecklich missverstanden wurde. Eine echte Entschuldigung übernimmt Verantwortung: »Tut mir leid, dass ich dich verletzt habe. Ich habe das eigentlich anders gemeint, habe das aber nicht verständlich gemacht.«
Verbale Fehltritte wie solche Nicht-Entschuldigungen (»Nonpologys«) hat die Gesundheitswissenschaftlerin und Coachin Lisa Holtmeier in ihrem Buch »Wortmedizin« versammelt. In 20 Kapiteln durchleuchtet sie Kommunikationsmuster, die einen echten Austausch verhindern, Beziehungen vergiften und aufs Gemüt schlagen. Dazu zählen Strategien wie Framing, Gaslighting und Stonewalling, Klassiker wie Kränkungen und Killerphrasen sowie passiv-aggressive Zwischentöne und übergriffige Ratschläge.
In jedem Kapitel beschreibt die Autorin zunächst einen Dialog zwischen zwei Menschen. Diese Beispiele sind etwas lang und künstlich geraten, erfüllen aber sicherlich den Zweck, die Bedeutung und Wirkung einzelner Sätze im Kontext zu veranschaulichen. Dann erläutert Holtmeier, was hier sprachlich schiefläuft und wie es besser geht. Zum Beispiel, was zu einer aufrichtigen Entschuldigung dazugehört, wie man sie annimmt oder auch ablehnt: »Ich habe den Eindruck, dass du keine Verantwortung für die Situation übernimmst.«
Hilfreiche Beispiele, aber wenige wissenschaftliche Belege
Solche Beispielsätze sind die große Stärke des Buchs. Die eine oder andere Äußerung erkennt man vielleicht wieder und versteht nun, warum ein Gespräch nicht gut verlief. Wo man nur ein vages Unbehagen verspürte, hilft das Buch zu verstehen, woran das liegen könnte und wie man in ähnlichen Situationen künftig reagieren kann. Etwa im Fall einer passiv-aggressiven Pseudo-Zustimmung – »Wenn du das willst, dann machen wir das halt so« – die eigene Wahrnehmung der Situation anzusprechen: »Ich habe den Eindruck, dass das für dich nicht in Ordnung ist.«
Die zentrale Schwäche des Buchs ist die unklare wissenschaftliche Basis. Die Autorin zitiert stellenweise Forschungsergebnisse, doch meist bleibt im Dunkeln, ob ihre Ausführungen auf empirischen Befunden oder auf Theorien gründen, ob sie aus journalistischen Quellen übernommen wurden oder ihre eigene Interpretation widerspiegeln. Am Ende des Buchs führt sie zwar zu jedem Kapitel ein paar Quellen an, darunter allerdings deutlich weniger Studien, als man erwarten würde, wären ihre Aussagen alle wissenschaftlich belegt. Teils fehlt sogar jeglicher Hinweis auf Fachliteratur, beispielsweise zum Dunning-Kruger-Effekt.
Das Fazit fällt deshalb gemischt aus. Wer erfahren möchte, was die Wissenschaft über Kommunikation weiß, wird enttäuscht. Wer lediglich Anregungen für den eigenen Alltag sucht, ist mit diesem Buch gut beraten: Es zeigt, wie vielfältig ein Gespräch misslingen kann und öffnet die Ohren für die groben und die feinen Zwischentöne der Kommunikation.
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