»ZEIT-Edition Wissenschafts-Thriller«: Schlafwandler, seltene Erden und Neandertaler-Gene
Nicht nur in seichten Liebesromanen, auch in anderen Genres taucht nach den ersten 20 Seiten schon mal die erste erotische Szene auf. In den Wissenschafts-Thrillern der ZEIT-Edition ist es in gewisser Weise nicht anders. Nur sind es hier keine erotischen Szenen, die in den Plot integriert werden, sondern Wissenshappen, die in den wissenschaftlichen Hintergrund des meist spannenden Thrillers einführen. In Carla Moris Roman »Heavy. Tödliche Erden« dauert es allerdings ganze 50 Seiten lang, bis die erste wissenschaftliche Erklärung auftaucht. Hier sind es Hyperspektralanalysen, mit denen »bahnbrechende Vorkommen« von seltenen Erden im Boden aufgespürt werden können.
In dem Physik-Thriller von Patrick Illinger, der auch die Mathematik streift, geht es gleich auf der ersten Seite los. Ein kleines Mädchen muss in Indien in einem Keller Kohle kleinhacken. Das mathematisch begabte Kind vertreibt sich die stupide Arbeitszeit, indem es über die Konstruktion von Zahlen nachdenkt. Später spielt es eine entscheidende Rolle bei der Manipulation von Elementarteilchen wie Neutrinos. Fiona, eine Ermittlerin in Wales, muss im Mordfall an einer Archäologin ermitteln, die mit drei antiken Speerspitzen getötet und mit einem Schwert enthauptet wurde. War die Forscherin den Hinterlassenschaften des legendären König Artus auf der Spur? Und existierte er oder ist er nur Teil eines Mythos?
Im Genetik-Thriller von Jens Lubbadeh untersucht die Anthropologin Sarah Weiss das mysteriöse Auftauchen von Neandertalern in der Zukunft. Es ist diesmal ein beunruhigender Sciencefiction-Roman, in dem in einer möglichen Zukunft ein Ministerium für Gesundheit und Glück Gen-Scans routinemäßig an fast allen Menschen durchführt. Behinderte Menschen werden so vorab »verhindert«. Und wenn sie doch geboren werden, so zeigt man ihnen deutlich, dass sie unerwünscht sind. Auch vermeintlich krankmachende Neandertaler-Gene, die der heutige Mensch noch in seinem Genom aufweist, werden regelmäßig – und meist heimlich – entfernt. Im Biologie-Thriller verenden Tiere an einer grassierenden Krankheit gleich massenweise, die sich beim Menschen als superschnelle Alterung äußert und sie schneller sterben lässt. Der Neurologie-Thriller schließlich dreht sich um die Möglichkeit, während des Schlafwandelns einen Mord zu begehen.
Fantasie oder wissenschaftliche Möglichkeit?
Aber ist das alles Fantasie? Der Clou an der ZEIT-Edition ist das jeweilige Nachwort. Hier überprüfen meist namhafte Journalistinnen und Journalisten die Fakten des entsprechenden Romans. Diesmal hat die ZEIT bei einigen Romanen leider daran gespart. Bei »Heavy. Tödliche Erden« liefert Petra Pinzler noch sorgfältig und unterhaltsam ihre Bewertung ab und geht verschiedenen Fragen nach: Ist es realistisch? Passt die Relevanz? Stimmen die Fundorte für die Rohstoffe und sind die im Roman vorgestellten Algorithmen so mächtig? Das Gleiche gilt für Nike Heinen, der die wissenschaftliche Evidenz vorstellt, ob ein Mord im Schlaf möglich ist, und für Jan Schweitzer, der ausdrücklich die wissenschaftliche Genauigkeit der beiden Autorinnen in »Probe 12« lobt. In den weiteren vier Romanen erklären sich die Autoren ihre eigenen Fakten leider selbst, und ältere Zeitartikel, die irgendwie zum Thema passen, werden einfach hinten angehängt; oder es werden gerade nicht die interessanten Elemente im Hinblick auf ihre Evidenz recherchiert.
Immerhin haben es diesmal gleich drei Frauen mit zwei Romanen in die ZEIT-Edition geschafft. In »Heavy. Tödliche Erden« geht es um den Rohstoffabbau für die Energiewende und in »Probe 12«, einem Medizinthriller, um die gefährlichsten multiresistenten Bakterien der Welt. Beide Romane sind großartig. Noch etwas ist in dieser ZEIT-Edition besser als in den vorherigen Editionen geraten: Alle Romane verzichten weitgehend auf die sonst in der Reihe häufig verwendeten Gender-Stereotypen von stattlichen Männern mit dem Blick alter Krieger oder den mutigen Sekretärinnen als weibliche Büromäuse mit fabelhaftem oder zierlichem Aussehen.
Die Romane selbst sind zwar meist schon vor drei oder sogar fünf Jahren erstmals erschienen. An wissenschaftlicher Aussagekraft, Relevanz und Aktualität in Bezug auf die drängenden Fragen der Zukunft haben sie allerdings nichts eingebüßt. Einige laden dazu ein, auch die anderen Romane der Autorinnen und Autoren zu lesen. Mal mit mehr, mal mit weniger Wissenschaft, mal spannender oder vorhersehbarer, mal konstruierter, mal realistischer, mal etwas mehr in der Zukunft, mal etwas mehr in der Gegenwart angesiedelt: Die sieben Wissenschaftsthriller sind unterhaltsam, fesselnd geschrieben, packend erzählt, und die Charaktere sind meist glaubwürdig. Wissenschaft inklusive. Und wer intelligente Thriller sexy findet, wird nicht nur auf den ersten Seiten gut unterhalten.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben