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»ZEITEN ENDE«: Ein Redeschwall zum Niedergang Deutschlands

Harald Welzer nimmt sich in seiner Gegenwartskritik vor allem Politik und Medien zur Brust. Analytisch und argumentativ bleibt er dabei aber vieles schuldig.
Ein rotes Megafon, aus dem metallische Buchstaben kommen.

Verwundert reibt sich der Rezensent die Augen: Zu Anfang des Buches betritt Uwe Seeler die Bühne. Der legendäre Mittelstürmer des Hamburger SV, Ehrenspielführer der deutschen Fußballnationalmannschaft und Ehrenbürger Hamburgs, wird präsentiert als Prototyp einer verloren gegangenen »Normalität«. »Uns Uwe« sei trotz aller Erfolge nie abgehoben. Bestimmend für seine große Zeit, die 1960er-Jahre, war das Erfolgsmodell der Nachkriegszeit: die soziale Marktwirtschaft, der dritte Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Alles vorbei, verloren und weg …

»Ich beginne dieses Buch mit ihm, weil Menschen ohne Abitur, ohne akademischen Abschluss … heute in der Öffentlichkeit des Landes nicht mehr vorkommen. Uwe Seeler war der Letzte seiner Art«. Aus dieser Nostalgie heraus startet Harald Welzer eine Suada, die kaum noch etwas mit der römischen Göttin der sanften Überredung zu tun hat. Welzer, Sozialpsychologe und Direktor der Stiftung FUTURZWEI, gehört zu den Intellektuellen mit einer Dauerkarte für Auftritte in Talkshows. Auf die Qualität seiner Texte scheint sich die ständige Medienpräsenz des Autors nicht unbedingt positiv auszuwirken. Er hat zwar weiterhin ein inhaltliches Anliegen, aber noch deutlicher zeichnet dieses Buch die Lust an der Provokation aus.

Viele Themen, kaum analytische Kraft

Welzers zentrale Botschaft ist der Horror vor der Klimakatastrophe, die unsere Lebensgrundlagen zerstören werde. Aber die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Medien schauten nur untätig zu, anstatt die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Sie verirrten sich in parteipolitischem Gerangel und faulen Kompromissen, ihnen fehlten Konzepte. Welzers Botschaft ist so ubiquitär, dass er sogar – abstrus – in der Klimakatastrophe eine Ursache für den imperialistischen Krieg Russlands in der Ukraine sieht: »Wenn der Umweltstress zu groß wird, nehme ich mir neues Land. Imperialismus hat also Zukunft.« Dabei bleibt der Autor den Beweis dafür schuldig, dass er das Thema Klimawandel wirklich durchdrungen hat.

Ansonsten kommen die üblichen aktuellen Tagesthemen vor. Sie bilden den Hintergrund, vor dem Welzer vorherige Regierungen und die gegenwärtige Ampelkoalition für ihre Versäumnisse abstraft: ungenügender Umweltschutz, der Niedergang der Bildung oder der Verlust des Gemeinsinns. Medienschelte zieht sich durch das gesamte Buch. Ebenso beklagt der Autor die Infantilisierung von Politik in Ausdrücken wie »Gute-KiTa-Gesetz«, »Doppel-Wumms« oder »Modell Bullerbü«. Dies alles mag zutreffen, aber analytisch und argumentativ bleibt Welzer dennoch einiges schuldig. Welzers Buch ist nur luzide und mit Gewinn lesbar, wenn er Gedanken seiner Gewährsleute Norbert Elias, Günther Anders und anderer Soziologen und Philosophen zitiert oder weitere wissenschaftliche Studien zur Diagnose der Gegenwart heranzieht. Man lernt aus ihm, wenn Welzer sich in seinem Fachgebiet bewegt und daraus analytische Kraft bezieht.

Tiraden statt Argumente

Leider bietet das Buch nur in geringerem Umfang solch diagnostische Passagen. Sein Text wirkt wie ein unendlicher Redeschwall gegen das Heute, an dem Welzer kein gutes Haar lässt. Man mag ihm in vielem zustimmen, manches bedenkenswert finden, doch leider fällt das Ganze insgesamt zu flach aus und der Autor im Ton immer wieder aus der Rolle. Der Text gerät ihm vor allem dann unsachlich, wenn er Medien zitiert, diese Zitate aber nur zum Anlass für seine Tiraden nimmt. Besonders der FDP und dem gegenwärtigem Verkehrsminister gelten seine Angriffe, aber auch Politiker seiner Parteipräferenz, der Grünen, bleiben von ihnen nicht verschont. Der Autor scheut nicht einmal vor Kraftausdrücken zurück, die schwarz auf weiß nur peinlich wirken. Bei seiner Kanonade in Richtung der Medien fragt man sich, warum er seine durchaus bedenkenswerten Gedanken rhetorisch so diskreditiert, dass man ihn als Autor kaum noch ernst nehmen kann. Dazu ein beliebiges Beispiel: »Es gibt, mit Ausnahme arabischer Familienclans in Berlin, keine Branche in Deutschland, die sich als so kritikavers erweist wie der Medienbetrieb.«

Am Ende des Buches, das nur wenige positive Gedanken und Ansätze für ein Zukunftskonzept enthält, fragt man sich als Leser: Warum soll ich einen Text lesen, das die an sich schon deprimierenden Meldungen der Tagespresse noch einmal potenziert, ohne wirklich über sie hinauszuweisen? Und warum schreibt ein mutmaßlich kreativer und ernst zu nehmender Wissenschaftler und Intellektueller ein Buch, das primär den Zweck zu erfüllen scheint, sich öffentlich einmal so richtig – in der Tonlage des Autors formuliert – auszukotzen?

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