Direkt zum Inhalt

»Zu viel Gefühl«: Einfach mal machen

Nicht hinter jedem Gefühl stecken Erfahrungen, die aufgearbeitet werden müssen. Gitta Jacob rät, das Leben aktiv zu gestalten, anstatt sich von Befindlichkeiten leiten zu lassen.

Die Intensität von Ängsten, Traurigkeit oder Groll nehme nicht immer ab, wenn man sich mit diesen Gefühlen beschäftige, schreibt die Psychologin und Therapeutin Gitta Jacob. Im Gegenteil: Negative Emotionen können sich durch den Versuch, ihre Ursachen aufzuarbeiten, sogar verschlimmern. Gefühle zu reflektieren könne – auch im therapeutischen Rahmen – zu einer passiven Haltung gegenüber dem eigenen Leben führen. Doch was kann man gegen negative Gefühle tun, ohne ständig um sich selbst zu kreisen? In ihrem Buch gibt die Psychologin Ratschläge für einen konstruktiven Umgang mit Stimmungen. Sie ermuntert dazu, sich von der Opferhaltung zu lösen und im Hier und Jetzt aktiv zu werden. Wer sein Leben gestalte, nehme auch Einfluss auf seine Gefühle, so Jacob.

Zu Beginn des Buchs geht es in einem Theorieteil um die Frage, was unsere Gefühle lenkt. Jacob erläutert unter anderem das Konzept der sogenannten Basisemotionen. Dazu gehören Angst, Ärger, Trauer, Ekel, Überraschung und Freude. Im zweiten Teil stehen die Botschaften der Gefühle im Vordergrund. Im dritten und letzten Abschnitt gibt Jacob schließlich Tipps dazu, wie sich das Gefühlsleben positiv beeinflussen lässt. Darin geht die Autorin unter anderem auf das Thema Achtsamkeit und die eigenen Werte ein.

Viele Menschen, die sich einer Psychotherapie unterziehen, leiden laut Jacob nicht unter Traumata oder schweren psychischen Erkrankungen. Es gehe vielmehr um den Umgang mit Problemen des Alltags. Die Psychologin hält es in diesen Fällen nicht unbedingt für hilfreich, den Ursprung der Gefühle in der Vergangenheit respektive der Kindheit zu suchen. Denn Gefühle lösten sich nicht automatisch auf, wenn man wisse, woher sie rühren. Jacob verweist auf Fälle aus ihrem therapeutischen Umfeld, bei denen gerade der Fokus auf die negativen Stimmungen diese verschlimmert hat.

Seinen eigenen Weg finden

Wie ein Mensch seine Gefühle bewertet, sieht Jacob weniger in Erfahrungen als vielmehr in Persönlichkeit und Gewohnheiten begründet. Jeder gehe qua Veranlagung anders mit Emotionen um. So führe eine Zurückweisung bei manchen Menschen zu Rückzug und Selbstzweifeln, während andere die Auseinandersetzung suchen. Die Psychologin empfiehlt zu akzeptieren, wie man selbst tickt. Es helfe oft mehr, sich seinen persönlichen Stil im Umgang mit Gefühlen bewusst zu machen, als zu analysieren, wie diese entstanden sind. Letztlich hätten nicht alle Gefühle eine tiefere Bedeutung. So habe schlechte Laune manchmal nur einen ganz banalen Grund, zum Beispiel Hunger oder Schlafmangel.

Jacob kritisiert nicht nur das exzessive Forschen in der Vergangenheit, sondern auch die Suche nach Verantwortlichen für die eigene Gefühlslage. Wenn etwa von toxischen oder narzisstischen Menschen die Rede sei, meine man damit selten sich selbst. Ein externalisierender Umgang mit negativen Gefühlen diene oft als Ausrede für jene, die sich eigenen Problemen nicht stellen können oder wollen – eine echte Auseinandersetzung werde vermieden. Und es könne zur Vereinzelung führen, wenn man sich nur darin übe, sich von anderen abzugrenzen.

Jacobs Gegenvorschlag lautet, sich eben nicht an alltäglichen Befindlichkeiten abzuarbeiten, sondern sich über die eigenen Werte und Ziele im Leben klar zu werden. Ein Wert könnte zum Beispiel sein, sich mit Menschen verbunden zu fühlen. Auch wenn es Zeit und Mühe koste, sei es langfristig erfüllend, hilfsbereit und für andere da zu sein. Wer Verantwortung für sein Leben und auch für andere übernehme, erlebe letztlich auch mehr positive Emotionen. Manchmal gehörten negative Gefühle auch in einem sinnvollen Prozess einfach dazu. Um ein Ziel zu erreichen, müsse man mitunter Zweifel oder Ängste in Kauf nehmen. Auch die Autorin erlebt dies in ihrem Alltag und beschreibt etwa, dass sie sich ihren Ängsten immer wieder bewusst stellt, beispielsweise beim Alleinreisen.

Allerdings fragt man sich bei der Lektüre von Jacobs Buch auch: Muss der Anspruch an eine Psychotherapie nicht ohnehin höher sein, muss man also von ihr nicht sowieso erwarten, dass sie einer Verstrickung in negative Gefühle entgegenwirkt? Und wie lässt sich echtes psychisches Leiden von bloßen Befindlichkeiten unterscheiden?

Gerade bei den teils plakativen Beispielen könnte man sich als Leser mitunter vor den Kopf gestoßen fühlen. Etwa wenn man in einer Fallgeschichte liest, dass ein Mann, der zu depressivem Rückzug neigt, den inneren Schweinehund überwinden sollte, um neue Erfahrungen zu machen; oder die Autorin ausführt, dass die Wirtschaft darunter leidet, wenn sich ein Arbeitnehmer wochenlang krankschreiben lässt, um sich einmal richtig Zeit für sich zu nehmen. Das Buch tut sich leider schwer dabei, hier den richtigen Ton zu treffen und angemessen zu differenzieren.

Kennen Sie schon …

Spektrum Kompakt – Das Unbewusste

Viele unserer Denkprozesse laufen auf Autopilot ab. Untersucht wurden sie schon von Sigmund Freud, C. G. Jung und Alfred Adler. Heute arbeitet man daran, das Zusammenspiel von Unbewusstem und Bewusstem neuronal sichtbar zu machen oder psychische Abwehrmechanismen durch bestimmte Tests zu ergründen.

Gehirn&Geist – Die Kraft der Emotionen: Wie Gefühle die Herzgesundheit beeinflussen

Der Nachbar parkt schon wieder vor der Hofeinfahrt? Die Bahn meldet noch mehr Verspätung als sonst? Gründe zum Aufregen gibt es viele. Die Neurokardiologie untersucht, wie sich diese Emotionen auf die Herzgesundheit auswirken. Erfahren Sie, warum eine positive Lebenseinstellung gut für das Herz-Kreislauf-System ist. Weitere Themen dieses Heftes: Das glymphatische System wäscht Zellmüll aus dem Gehirn, damit könnte es als Ansatzpunkt zur Therapie von Alzheimerdemenz werden, auch wenn noch viele Details unklar sind. Neue KI-Modelle werden immer leistungsstärker und verblüffen mit ihren Fähigkeiten. Ist der Weg zur künstlichen Superintelligenz nur noch eine Frage der Zeit? Außerdem berichten wir über einen kleinen Neuronenverbund im Hirnstamm, der unsere Denkprozesse steuert und ähnlich wie ein Getriebe im Auto funktioniert. Lassen sich darüber Lernen, Kreativität, Konzentration und Wachsamkeit verbessern? Im Brennpunkt »Sexualisierte Gewalt« erläutert Carlo Koos im Interview, warum Überlebende von sexualisierter Gewalt im Krieg oft mit Stigmatisierung zu kämpfen haben.

Spektrum Psychologie – Beziehungsunfähig – was heißt das eigentlich?

Gibt es wirklich Menschen, die beziehungsunfähig sind? Dieser Frage widmen wir uns in Ausgabe 4/2025 von »Spektrum Psychologie«. Außerdem erfahren Sie mehr über Selbstsabotage im Beruf, Hirnstimulation als Therapie von Depressionen, Bisexualität und was moderne Männlichkeit ausmacht.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.