»Zur See«: Vom Einbaum bis zum Kreuzfahrtschiff
Am Anfang war das Boot. Da Boote keine Räder oder Motoren brauchen, waren sie den Landfahrzeugen in der Geschichte des Transportwesens zunächst um Längen voraus: Bevor um 4000 v. Chr. das Rad erfunden wurde, gab es zum Transport auf dem Land höchstens Schlitten. Zu diesem Zeitpunkt fuhren Jäger und Sammler aber schon seit etwa 4000 Jahren zum Fischfang in Einbäumen auf Flüssen und Seen herum. Bis heute sind Boote, Schiffe und alle anderen Wasserfahrzeuge dem Transportwesen, dem Militär und der Forschung nicht wegzudenken und faszinieren nach wie vor nicht nur große Technikfans.
Wie gut, dass Matt Ralphs, Autor von Kindersachbüchern über Geschichte und Technik und stolzer Bewohner eines Hausbootes bei London, nun auf über 60 Seiten in die 10 000 Jahre lange Geschichte der Seefahrt und Wasserfahrzeuge abtaucht. Dabei nimmt er junge Leser mit an Bord, die unterwegs etwa über die hochseetauglichen Karavellen des 14. bis 16. Jahrhunderts staunen dürfen, die in Europa als Fracht-, Erkundungs- und Kriegsschiffe eingesetzt wurden. Sie bewundern die hochentwickelte Ingenieurskunst im Zeitalter der Dampfmaschine, als etwa Mitte des 19. Jahrhunderts mit der »SS Great Britain« das damals größte Passagierschiff der Welt seine Jungfernfahrt antrat. Oder sie freuen sich mit all den Freizeitkapitänen, Sportseglern oder Meeresforschern darüber, dass es heute auch jede Menge Boote und Schiffe gibt, die einmal nicht zum Fischfang, Transport oder in Kriegs- und Krisengebieten im Einsatz sind.
Berühmte Schiffe kreuzen das »Meer der Seiten«
Auf großformatigen Doppelseiten erfahren wir in übersichtlichen Textblöcken Interessantes zu vielen Aspekte des Themas und bekommen so einen guten Überblick über die jeweiligen Epochen, ihre typischen Boote und Schiffe sowie die technischen Neuerungen rund um den Schiffsbau. Dazu gibt es Porträts besonders berühmter Schiffe und Exkurse zu entscheidenden Seereisen und Entdeckungsfahrten. Der Ton ist sachlich, informativ, die Sprache weitgehend verständlich, aber durch viele Fachtermini – längst nicht alle werden im Anschluss erklärt – teils durchaus anspruchsvoll.
Die Faktenfülle, der eher sachlich-nüchterne Ton und der inhaltliche Tiefgang mancher Passagen, die sich in technische Details vertiefen, könnten auf Dauer ermüden – wenn da nicht die Kunst von Dieter Braun wäre. Der preisgekrönte Illustrator und Kommunikationsdesigner hat einen unverkennbaren Stil, der diesem Kindersachbuch sichtlich guttut. Seine flächigen Illustrationen in gedeckten Farben, die er mit Grafiken aus geometrischen Formen kombiniert, sind nicht nur durch das Zusammenspiel von Farben und Formen echte Hingucker. Sie verbinden sich auch kongenial mit Matt Ralphs Texten: Mal veranschaulichen neben den Texten kleine, akribisch bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Zeichnungen von Booten und Schiffen deren Aufbau und Besonderheiten. Mal kreuzen Illustrationen berühmter Schiffe wie die »RMS Titanic« imposant und raumgreifend das »Meer der Seiten« und verweisen den Begleittext ins Beiboot. Auch die kantigen Proportionen von Seeräuberporträts à la Edward »Blackbeard« Teach sorgen mit ihrem markant ausgearbeitetem Minenspiel für leichtes Schaudern beim Betrachter.
Die hohe Qualität der Texte und Illustrationen sowie seine inhaltliche Struktur machen aus dem Buch ein immergrünes Nachschlagwerk, in dessen komplexe Inhalte jüngere Leser nach und nach hineinwachsen können. Ein Inhaltsverzeichnis, ein Schifffahrtszeitstrahl, Worterklärungen und ein Stichwortverzeichnis erleichtern dabei den Einstieg und sorgen für mehr Durchblick bei jeder Wetterlage.
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