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Die Wurzel alles Guten

Wie man moralische Urteile unvoreingenommen fällt, erklären Markus Gabriel und Gert Scobel in ihrem Buch.

Als 1886 Friedrich Nietzsches Werk »Jenseits von Gut und Böse« erschien, hatte es Skandalcharakter. Darin postulierte der deutsche Philosoph kurz gesagt, dass die Kategorien von Gut und Böse menschengemacht und deshalb fehlerbehaftet sind. Er machte sich für eine Moral stark, die jenseits dieser beiden Pole einen Standpunkt bezieht und so eine objektivere Sicht auf menschliches Handeln hat.

Das nun erschienene Werk von Markus Gabriel, Lehrstuhlinhaber für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und der Gegenwart an der Universität Bonn, und Gert Scobel, Wissenschaftsjournalist und Philosoph, befasst sich ebenfalls mit Moraltheorie und Ethik. Anders als Nietzsche verorten die beiden den korrekten moralischen Standpunkt nicht außerhalb der Skala zwischen Gut und Böse, sondern in der Mitte selbiger; in einer Mitte, die sie als »radikal« bezeichnen. Zu diesem Schluss kommen die Autoren nach drei Kapiteln, die etwas prätentiös Aporie, Antinomie und An-Archie heißen.

Das erste Kapitel ist nach dem Fachbegriff für die Unmöglichkeit benannt, eine philosophische Frage erschöpfend zu beantworten. Es widmet sich dem Thema, ob man moralische Urteile grundsätzlich richtig fällen kann, was – man ahnt es schon – natürlich nicht möglich ist. Denn dafür müsste man mit Sicherheit wissen, ob eine Handlung gut ist. Da aber die Ausgangslage wegen der Komplexität aller Faktoren, die hineinspielen können, nicht in ihrer Gesamtheit zu erfassen ist und so auch die Auswirkungen einer Tat immer ein Stück weit unberechenbar bleiben, kann man nie mit vollständiger Sicherheit sagen, ob eine Handlung gut ist.

Unter Antinomie versteht man dagegen den logischen Widerspruch, wenn gleichermaßen gut begründete Aussagen nicht im Einklang miteinander stehen. Dementsprechend befasst sich das zweite Kapitel mit den Differenzen zwischen den moralischen Horizonten von Menschen. So haben selbst Personen, die aus dem gleichen Kulturkreis stammen, häufig sehr unterschiedliche moralische Vorstellungen. Ein Konsens würde lediglich alle extremen Positionen am Rand des moralischen Spektrums ausschließen, so die Autoren.

Die Mitte ist kein Kompromiss

Im dritten Kapitel, An-Archie, beschäftigen sich die beiden dann mit der radikalen Mitte. Während Aristoteles die moralisch richtige Haltung immer in der Mitte zwischen zwei Extremen ansiedelte (Mut ist etwa die Mitte zwischen Waghalsigkeit und Feigheit), verstehen Gabriel und Scobel sie eher im Sinne der fernöstlichen, besonders der chinesischen Philosophie. Dort wird die Mitte als eine Art Leerstelle verstanden, eine Position wie im Auge eines Sturms, vor der aus alle anderen Positionen gehört werden können. So erklärt sich auch der Begriff der radikalen Mitte, die nicht extrem ist, sondern der Ursprung, der Ausgangspunkt einer neuen Ethik sein soll (lateinisch: radix = Wurzel). Die Autoren setzen also auf eine vollkommen offene, unvoreingenommene Grundhaltung, von der aus moralisches Handeln beurteilt werden kann.

Passend dazu ziehen sich ihre Gedankengänge in Dialogform durch das Werk. Das macht die bisweilen anspruchsvollen und abstrakten Überlegungen besser verständlich. Zudem sind sich die Autoren nicht zu schade, auch Fragen, die in der Philosophie schon seit Jahrtausenden gestellt werden, nochmals aufzurollen und durchzusprechen, ohne sie mit dem Hinweis auf die bekannten Theorien einfach abzutun. Gleichzeitig ordnen sie Positionen, die bereits von anderen bekannteren und weniger bekannten Denkern vorgebracht wurden, geschichtlich ein.

Gabriel und Scobel legen mit »Zwischen Gut und Böse« ein Werk vor, das auch Menschen mit wenig philosophischem Vorwissen zu empfehlen ist. Es regt zum Nachdenken an und kann in einer Zeit, in der vor allem extreme Positionen Aufmerksamkeit erhalten, wieder zu gemäßigteren und vor allem unvoreingenommeneren Ausgangspunkten in den vielfältigen Diskursen dieser Tage einladen.

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