»Zwischen Urknall und Apokalypse«: Mensch und Kosmos
Dieses Buch verspricht nicht weniger, als die Geschichte der Erde und ihrer Bewohner von ihren kosmischen Anfängen bis heute zu erzählen. Das ist wohl die umfassendste Form einer menschlichen Universalgeschichte, die man sich vorstellen kann. In seiner Antrittsvorlesung an der Universität Jena am 26. Mai 1789 sagte Friedrich Schiller zum Thema »Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?«: »Aus der ganzen Summe dieser Begebenheiten hebt der Universalhistoriker diejenigen heraus, welche auf die heutige Gestalt der Welt und den Zustand der jetzt lebenden Generationen einen wesentlichen, unwidersprechlichen und leicht zu verfolgenden Einfluss gehabt haben.« Wird das Buch, das der Astrophysiker Heino Falcke gemeinsam mit dem Wissenschaftsjournalisten Jörg Römer verfasst hat, diesem Anspruch gerecht?
In zehn Kapiteln, die zwischen 21 und 74 Seiten umfassen, schildern die Autoren zunächst den Ursprung von Universum, kosmischen Strukturen, Sternen und chemischen Elementen (Kapitel 1 und 2) und gelangen so (Kapitel 3) zur Entstehung der Planeten im Allgemeinen und der Erde im Besonderen. Auf der Erde geht es dann weiter – mit dem Entstehen der Ozeane, der Kontinente, der Atmosphäre (Kapitel 4) und erster Lebensformen (Kapitel 5). Der weiteren Entwicklung des Lebens widmet sich Kapitel 6, in Kapitel 7 tritt dann der Mensch auf den Plan, entwickelt sesshafte Lebensformen (Kapitel 8) und schließlich das, was wir heute als »Hochkulturen« bezeichnen (Kapitel 9). Diese bis heute reichende Erzählung mündet in das längste Kapitel »Apokalypse und Hoffnung«, mit dem das Buch endet. Es spannt also, wie Sie sehen, einen wirklich weiten Bogen.
Um eine solche Übersicht auf gut 400 Seiten unterzubringen, muss die Erzählperspektive einen »erhöhten« Standpunkt einnehmen, von dem aus nicht allzu viele Details, wohl aber die wesentlichen Linien zu erkennen sind. Und entgegen meiner Skepsis zu Beginn der Lektüre erweist sich mehr und mehr, dass dies auch gelingt. Dabei legen Falcke und Römer das moderne Weltbild der physikalischen Kosmologie zugrunde, räumen aber ein: »Bei unseren Suchen nach den Anfängen der Welt stoßen wir immer wieder auf fundamentale Grenzen, die wir nicht durchdringen können. Die Chance ist groß, dass wir niemals den engen Schlund des Urknalls bis zum Anfang aller Dinge erforschen können.« (S. 44)
Langfristige Stabilität gab es nie
Entlang der zunächst knapp, aber treffend beschriebenen kosmischen Entwicklungslinien verengt sich der Blickwinkel bald so, dass er einzelne Sterne und Planetensysteme erfasst, die sich in der Entstehung befinden. Zum ersten Mal treten Bedingungen auf, aus denen Leben hervorgehen könnte: »Aus dem ursprünglich sehr langweiligen und einförmigen Gas des Urknalls ist also jetzt ein vielschichtigen [sic!], teilweise schon organisches Gebräu entstanden. Ja, man fragt sich sogar intuitiv, ob nicht jetzt schon, vor der Entstehung der Erde, Leben hier entstehen könnte?« (S. 98) Die Erde entsteht, bleibt aber kosmischen Einflüssen ausgesetzt, die beides mit sich bringen, Katastrophen und neue Möglichkeiten: »So hat der gewalttätigste Einschlag [eines Asteroiden] auf der Erde [durch die Entstehung des Mondes] zu unserer eigenen Existenz beigetragen – und es wird nicht die einzige fruchtbare Katastrophe bleiben, denn die Einschläge gehen weiter.« (S. 109)
Anhand verschiedener Phasen der Erdgeschichte beleuchtet das Buch mehrfach die Zusammenhänge zwischen geologischer Aktivität und Kreisläufen in der Entwicklung der Atmosphäre und geht der Frage nach, in welchen Beziehungen diese zum Entstehen lebensförderlicher oder lebensfeindlicher Bedingungen stehen. Vergleichsweise heftige Ausschläge in beide Richtungen wie die kambrische Explosion der Lebensformen oder das Massensterben am Übergang zwischen den Erdzeitaltern Perm und Trias zeigen auf dramatische Weise, wie dynamisch die Erdgeschichte verlief und dass, betrachtet man lange Zeitskalen, von Stabilität nie die Rede sein konnte.
Der Mensch als »Eroberungsmaschine«
Diese erdgeschichtliche Dynamik – insbesondere in Form der wiederkehrenden, teils schnellen »Klimakapriolen« (S. 200) – hat immer wieder unmittelbare Folgen für die Entwicklung des Menschen und seiner Lebensformen gehabt. Durch Klimaveränderungen ausgelöste Migrationsströme bedingten Veränderungen von Genpools ebenso wie den ›Export‹ bestimmter Lebensweisen. Das vollzog sich oft über große Zeiträume, so »erfolgte die Verbreitung der Landwirtschaft langsamer und war mit umfangreichen Wanderbewegungen verbunden.« (S. 265) Gerade die wiederholten, existenziellen Krisen führten aber auch dazu, dass sich eine entscheidende Eigenschaft des Menschen herausbilden konnte: »Es ist wohl diese geplante, gezielte Zusammenarbeit, die den modernen Menschen zu einer Eroberungsmaschine macht, die überall, wo er [sic!] auftaucht, jede Konkurrenz vertreibt.« (S. 246)
Nachdem die Autoren die Entstehung von Städten und Reichen sowie von immer differenzierteren Gesellschaftsstrukturen geschildert haben, stellen sie am Ende des neunten Kapitels fest: »Die Erfolge der Wissenschaft sind das Ergebnis einer Milliarden Jahre langen kosmischen Entwicklung und der Zusammenarbeit unzähliger Menschen über Zeit und Raum hinweg. […] Heute sind die Probleme, die Imperien, Wissenschaft und Technik verursachen, global, und sie drohen uns über den Kopf zu wachsen. Kommt nach der Genesis irgendwann die Apokalypse?« (S. 343f) Dieser Frage widmet sich das abschließende, längste Kapitel. In ihm geht es letztlich darum, ob wir hinsichtlich der weiteren Entwicklung Grund zur Hoffnung haben. Dies wird – bei aller Skepsis – von den Autoren bejaht, denn: »Was uns als Menschheit in all den Jahren stark gemacht hat, war unsere Fähigkeit zusammenzuarbeiten, zu kommunizieren und Probleme gemeinsam anzugehen.« (S. 377)
Wie gesagt, dieses Buch verspricht eine Menge, aber es wird seinem hohen Anspruch auch gerecht. Es bietet viele Einsichten in Zusammenhänge und Entwicklungslinien. So vermitteln die Autoren einerseits wertvolles, gut strukturiertes Überblickswissen, andererseits regen sie den Leser an vielen Stellen dazu an, eigenen Fragen nachzugehen oder bestimmte Aspekte zu vertiefen. Gestehen muss ich, dass mich Stil und Formulierungen nicht durchweg überzeugt haben, etwa wenn Schwarze Löcher mit Krokodilen verglichen werden (S. 86); aber das ist eine Geschmacksfrage, deren Beantwortung das Wesentliche nicht verstellen sollte: Dieses Buch bietet wertvolle Einsichten, echten Erkenntnisgewinn und viele Ansätze für neue und (noch) weiter reichende Gedanken.
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