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Chemiereaktor Pflanze

Wer freut sich nicht, wenn nach einem grauen Winter kahle Äste die ersten Knospen zeigen, Forsythien in strahlend gelber Blütenpracht erscheinen und wohl riechender Veilchenduft die noch taufrische Luft erobert? Für Georg Schwedt bedeutet dies: Nichts wie raus und Pflanzen sammeln. Der Chemiker, der durch seine Bücher über Experimente mit Supermarktprodukten bekannt geworden ist, hat ein Buch über Pflanzenstoffe geschrieben und kehrt damit zu seinen persönlichen Wurzeln zurück: Als Neuntklässler schrieb er in einer Jugendzeitschrift einen Artikel mit dem Titel "Verwehte Blätter: So legt man ein Herbarium an".

Pflanzen sind chemische Laboratorien par excellence und eignen sich daher hervorragend zur Untersuchung im Reagenzglas. Dem Buch liegen 22 Basisexperimente zu Grunde, die allesamt Nachweisreaktionen für Stoffklassen wie Mineralstoffe, organische Säuren, Kohlenhydrate, Öle, Pflanzenfarbstoffe und Phenolderivate darstellen und sich auf die gesamte Flora anwenden lassen – geschützte Pflanzen natürlich ausgenommen. Schwedt stellt sie exemplarisch an etwa 50 Arten vor, wobei er auf deren Besonderheiten eingeht. Allerdings ordnet er sie nicht nach der botanischen Systematik, sondern schlicht nach den vier Jahreszeiten. Deren jede wird zusätzlich mit einem oder mehreren Gedichten eingeläutet. Zugegeben, im Winter ist ein wenig Improvisation gefragt. Neben Versuchen zu Nadelbäumen, Efeu, Buchsbaum und Grünkohl muss man auf die Gewürzregale im Supermarkt zurückgreifen.

Die Versuche beruhen häufig auf Farb- oder Fällungsreaktionen. Mit letzteren werden Kalzium- und Kaliumionen in einer Lösung der Verbrennungsasche nachgewiesen. Neben den Nachweisen für organische Säureanionen wie Oxalat stellt Schwedt auch einen für Silikate vor, der auf der Bildung eines gelben Molybdatosilikat-Komplexes oder von Molybdänblau beruht. Damit lässt sich Kieselsäure in den rauen (verkieselten) Schachtelhalmen feststellen.

Natürlich denkt man bei Pflanzen sofort an allerhand prächtige Farben. Ihnen ist der größte Teil der Experimente gewidmet. Typisch hierfür sind pflanzliche Säure-Base-Indikatoren. Analog zum klassischen Beispiel des Rotkohlsafts beschreibt Schwedt die Extraktion der Anthocyane aus Klatschmohnblüten und ihren reversiblen Farbumschlag von rot nach gelb-braun bei Erhöhung des pH-Werts.

Auch Flavonoide lassen sich bei unzähligen Pflanzen als Blütenfarbstoff extrahieren, etwa bei den gelben Blüten des Echten Labkrauts. Seinen Namen verdankt es dem Labferment in seinem Blattgewebe, das früher zur Käseherstellung genutzt wurde. Experimentell lässt sich das leicht zeigen, indem man ein paar Tropfen eines Blattextrakts zu Milch gibt, die daraufhin gerinnt. Auch die Wurzeln dieser Pflanze fanden früher in der Färberei Verwendung.

Schwedt hat sein Buch nicht als reines Experimentierbuch gestaltet; vielmehr findet sich zu jeder Pflanze eine Hand voll nützlicher Informationen zu Verbreitung, Nutzung und charakteristischen Eigenschaften. Manchmal zitiert er dabei aus Kräuterbüchern des 15. und 16. Jahrhunderts und Bestimmungsbüchern aus dem frühen 20. Jahrhundert und gibt damit Einblicke in die frühere Bedeutung der jeweiligen Pflanzen. Schwarz-Weiß-Bilder aus den alten Werken oder aus Schwedts Herbarium begleiten den Informationstext. Beides zusammen reicht zum Bestimmen der vorgestellten Pflanzen nicht immer aus. Man sollte daher bei Bedarf zusätzlich ein Bestimmungsbuch zu Rate ziehen, bevor man an Stelle des Echten Johanniskrauts (rote Finger nach Zerreiben der Blüten!) ein "falsches" pflückt.

Auch der chemische Hintergrund kommt nicht zu kurz: Alle für Pflanzen relevanten Naturstoffklassen stellt Schwedt am Anfang des Buchs kurz vor, was einer guten Auffrischung der Kenntnisse dient. Wer allerdings kaum Vorkenntnisse besitzt, wird hier womöglich durch die Aneinanderreihung von Fachausdrücken erschlagen. Passend zu den einzelnen Abschnitten findet sich im Anhang eine sehr übersichtliche Darstellung der Strukturformeln häufig genannter Naturstoffe.

Nahezu alle benötigten Chemikalien sind im Supermarkt oder in der Apotheke preiswert erhältlich. Die Versuche lassen sich auch meist direkt auf der Wiese durchführen.

Für den Biologie- oder Chemieunterricht ist das Buch wegen seiner Vielfalt an verwendetem Pflanzenmaterial und wegen der leicht durchzuführenden, für jede Jahrgangsstufe geeigneten Experimente hervorragend geeignet. Und es regt dazu an, zu hinterfragen, was es eigentlich chemisch heißt, in den sauren Apfel zu beißen.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 8/2008

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