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Das Gehirn von seiner schönsten Seite

Obwohl sie bei der Mumifizierung alle anderen Organe sorgfältig für die Ewigkeit konservierten, schabten die alten Ägypter das Gehirn aus, um es einfach zu entsorgten. Über Jahrhunderte hinweg hielten Menschen dieses graue, unförmige und scheinbar völlig inaktive Organ für unbedeutend. Mittlerweile hat das Gehirn deutlich an Ansehen gewonnen. Mit einer ansteckenden Faszination für seine Komplexität zeigt uns Rita Carter in ihrem Buch "Das Gehirn" warum. Die eindrücklichen Bilder und Illustrationen bezeugen außerdem, dass dieses Organ auch optisch mehr zu bieten hat, als die graue gallertartige Masse auf den ersten Blick vermuten lässt.

So schickt uns Carter in ihrem Werk auf eine Reise durch das Gehirn, die von über tausend Bildern getragen wird. Beginnend mit einem geschichtlichen Abriss und einer Einführung in die Methoden der modernen Hirnforschung, werden nach und nach alle denkbaren mit dem Gehirn assoziierten Aspekte aufgegriffen. Die Autorin erklärt, wie sich das Hirn am Leben hält und mit dem Körper vernetzt und dröselt hiernach die Anatomie der einzelnen Hirnareale fein säuberlich auf. Wie Auge, Ohr und andere Sinnesorgane Informationen aus Reizen generieren, beschreibt das folgende Kapitel. Nun wird das gesamte Können unseres Denkapparats ausgebreitet: Angefangen bei der Regulierung von Körperfunktionen werden die Themen bis hin zu Denken und Bewusstsein zunehmend abstrakter. Ein Blick auf zukünftige Fähigkeiten unserer neuronalen Schaltzentrale, also seiner Möglichkeiten mit moderner Technik zu interagieren, schließt den Themenkomplex ab. Was passiert, wenn das Gehirn nicht "richtig" funktioniert, zeigt eine registerartige Zusammenstellung der gängigsten Hirnerkrankungen. Im Anhang findet man zudem ein ausführliches Glossar und einen Index.

Sicherlich sind die Abbildungen die Hauptkomponente des Buchs, was vor allem die Anatomie durch imposante Illustrationen zu einem Erlebnis macht. Doch auch an anderen Stellen sprechen die Grafiken und Bilder für sich. Eindrucksvoll ist die Aufsicht auf den "aufgeblätterten" Schädel ebenso wie hochaufgelöste Bilder von Nervenzellen im Fluoreszenzmikroskop. Die Aussagekraft der Bilder nimmt allerdings mit der zunehmenden Komplexität der Themen ab. Dafür sind die Sinnestäuschungen noch einmal ein Höhepunkt: Hier lässt ein Best-Off an optischen Illusionen den Leser staunen.

Die Texte sind prägnant, aber nicht immer gleich gut gelungen. Vielfach schaffen es die kurzen Passagen, das Phänomen auf den Punkt zu bringen, zum Teil geht die Prägnanz jedoch auf Kosten des Verständnisses. So werden an einigen Stellen Fachbegriffe verwendet, aber nicht erklärt – und bei anderen Texten hat man den Eindruck, lediglich an der Oberfläche gekratzt zu haben. Gerade die kontroversen Inhalte wurden zu einseitig und banal dargestellt.

Am Ende des Buches hat man tatsächlich das Gefühl auf einer Reise gewesen zu sein: Einer Reise in ein fremdes Land, von dem mal viel sieht, aber vieles nicht oder nur oberflächlich versteht. Dennoch bekommt man einen umfassenden Eindruck und vor allem Lust auf mehr. Da das Buch durchaus Appetit auf einen tieferen Blick in die Hirnforschung macht, ist es – als letztes kleines Manko – schade, dass man keine Hinweise auf weiterführende Literatur bekommt.

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