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Gilgamesch - Herausforderer der Götter

Stefan Maul bringt uns mit seiner Neuübersetzung des Gilgamesch-Epos den Halbstarken von Uruk menschlich näher.

Die erotischen Avancen der Liebesgöttin Ischtar zurückzuweisen – dazu gehört schon was. Aber Gilgamesch, der alles überragende Held der altorientalischen Literatur, überstand den rasenden Zorn der Verschmähten. Auch andere Unbotmäßigkeiten gegen Göttergebote schadeten dem halbstarken Egomanen auf dem Königsthron von Uruk nicht nachhaltig. So berichten es die Gilgamesch-Erzählungen, die seit dem 3. Jahrtausend in variierenden Versionen mündlich weitergetragen wurden. Um 2000 vor Christus wurde die Sage von dem ersten Menschen, der auf der faustischen Suche nach dem Sinn des Lebens den Zorn der Götter nicht fürchtete, in Keilschrift festgehalten und damit überliefert. Aus den verschiedenen Erzählungen formte um 1200 vor Christus ein unbekannter Dichter dann das Epos, das uns heute bekannt ist.

Es ist eine spannende, hochmodern anmutende Geschichte vom Kampf des Menschen mit den Naturgewalten, von Sexualität und Freundschaft, von der Frage nach dem Sinn des Lebens, dem Selbst-Bewusstsein und dem Wunsch nach Unsterblichkeit. Oberflächlich bekannt wurde das Gilgamesch-Epos einer größeren Öffentlichkeit durch das Stichwort "Sintflut". Die wird darin – 2000 Jahre vor der biblischen Nacherzählung – detailliert beschrieben. Nur hieß bei den alten Mesopotamiern der Archenerbauer nicht Noah, sondern Uta-napischti – der einzige unsterbliche Mensch.

Uta-napischti, den Gilgamesch auf seiner Jagd nach dem ewigen Leben unter vielen Gefahren aufsucht, lehrt den Sinnsucher, dass der Mensch nicht für die Unsterblichkeit bestimmt ist, und zeigt ihm so den Weg vom Ich-Menschen zum "guten König". Gereift kehrt der einstige Kraftmeier in seine Stadt Uruk zurück. Das Epos bietet aber mehr als Mythologie. Bei den modernen Ausgrabungen in Uruk – seit Ausbruch des Irakkriegs sind sie unterbrochen – finden sich im Boden viele Querverweise auf das literarische Denkmal. Margarete van Ess, die Uruk für das Deutsche Archäologische Institut ausgräbt: "Es war für alle mesopotamischen Herrscher wichtig, Uruk zu besitzen und dort den Kult zu pflegen. Die Stadt ist selten zerstört und wenn, dann wieder restauriert worden."

Uruk war im 4. Jahrtausend vor Christus nur eine unter vielen prosperierenden Stätten Südmesopotamiens, doch, so van Ess, "hatte sie das Potenzial, die umliegenden Siedlungen auf sich zu beziehen und so zur bedeutendsten Stadt der Region heranzuwachsen". Hier wurde vor mehr als 5000 Jahren die Schrift erfunden, hier rollte das erste Rad, hier starteten die Bürokraten ihren Eroberungszug um die Welt – und hier baute König Gilgamesch die berühmte Mauer um Uruk, die ihn unsterblich machte. Stefan M. Maul bringt uns dieses erste Stück Weltliteratur jetzt in einer neuen Übertragung näher. Es wurde zum Glück mehr als eine Übersetzung. Der Professor für Assyrologie in Heidelberg kann den bekannten Keilschrift-Texten aus eigener Forschungsarbeit fünf unbekannte Textpassagen hinzufügen.

Dem Autor gelingt dabei der Spagat zwischen wissenschaftlichem Anspruch und einer Vermittlung an den interessierten Laien: Beim Text hält er sich, nach eigener Aussage, streng an das Original, dennoch kann man seine Textfassung mit Genuss lesen – Frustrationen durch unverständliche Sprache bleiben aus. Durch seine vorangestellte Nacherzählung des Epos und seine Anmerkungen zu einzelnen Textpassagen füllt Maul zudem die Kenntnislücken, die der nichtwissenschaftliche Leser über die Welt vor 4000 Jahren zwangsläufig hat. Dem Autor sei Dank für diese souveräne Darstellung, dem Verlag für die liebevolle Ausstattung dieses Buchs.

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  • Quellen
Abenteuer Archäologie 3/2005

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