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Mein kleiner grüner Kaktus

Kaktus ist nicht gleich Kaktus – im Gegenteil, bei weit mehr als 120 Gattungen und etwa 1900 Arten verliert selbst der noch so engagierte Kakteenliebhaber schnell den Überblick. Über diese zu den größten Pflanzenfamilien der Welt zählenden Gewächse gibt es natürlich viele Bücher, doch es hat lange gedauert, bis ein Botaniker ein wirklich profundes Nachschlagewerk vorgelegt hat. Dem renommierten Ulmer-Verlag ist es zu verdanken, dass das Kompendium des amerikanischen Wissenschaftlers Edward Anderson (1932-2001), das 2001 in den USA erschien, seit vergangenem Jahr auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Jeder Kakteen- und Pflanzenfreund sollte dieses reich bebilderte und fast 750 Seiten starke Standardwerk in seinem Bücherschrank stehen haben. Der Band ist nämlich seit Jahrzehnten die erste umfassende lexikografische Zusammenstellung von Kakteen in deutscher Sprache. Ted Anderson stellt 125 Gattungen und 1810 Arten in dieser Kakteen-Enzyklopädie vor, illustriert durch mehr als tausend hervorragende Farbbilder.

Das Werk ist das Ergebnis von über 45 Jahren Kakteenleidenschaft und -forschung von Anderson. Aufgewachsen im Süden Kaliforniens, interessierte er sich zunächst wenig für die allgegenwärtigen Stachelpflanzen. Erst bei der Suche nach einem Dissertationsthema rückten die Kakteen ins Blickfeld. Ein Professor für Biochemie in Pasadena, ein Vorort von Los Angeles, suchte nämlich einen Doktoranden für die botanische Untersuchung des Peyote-Kaktus (Lophophora). Da die Promotion mit einem Stipendium verbunden war, griff der frisch verheiratete, aber mittellose Anderson zu und begann an der Claremont Graduate School und dem Rancho Santa Ana Botanic Garden nahe Los Angeles seine Karriere.

Über die Jahre erlangte der Kalifornier den Ruf eines "Kakteenpapstes", arbeitete am Whitman College im US-Bundesstaat Washington, bereiste jeden Winkel der "Kakteenwelt" in Nord- und Südamerika, war Präsident der International Organization for Succulent Plant Study, Mitglied der Cactus and Succulent Society of America und der Linnean Society in London. 1992 wurde er zum Senior Research Botanist am Desert Botanical Garden in Phoenix/Arizona berufen, und 1998 erhielt er für seine Forschungsarbeit den Cactus d'Or, den "Oskar" der Kakteenforschung. Neben der Forschung engagierte sich Anderson für den Schutz der stacheligen Pflanzen – derzeit sind allein in den USA 32 Arten vom Aussterben bedroht – und versuchte, auf die beiden Hauptprobleme hinzuweisen: die zunehmende Zersiedelung der Landschaft und die illegale Sammeltätigkeit.

Als der Kakteenforscher 2001 starb, war sein gigantisches Lebenswerk in den USA gerade erschienen. Das Lexikon spiegelte den wissenschaftlichen Stand von 1999/2000 wieder, weswegen bei der deutschen Ausgabe dem Übersetzer eine wichtige Rolle zukam: Der Schweizer Botaniker und Kakteenspezialisten Urs Eggli übersetzte jedoch nicht nur, sondern brachte den Text zugleich auf den neuesten Forschungsstand und überarbeitete ihn sorgfältig. Dabei wurden seine eigenen, nachträglichen Zufügungen jeweils extra gekennzeichnet.

Den Großteil des Buches – rund 600 Seiten – macht das Lexikon aus. Sämtliche akzeptierten Gattungen, Arten, Unterarten und Varietäten werden jeweils kurz diagnostisch beschrieben, insgesamt kommen über 14 000 Namen vor. Nach einem Text zur jeweiligen Gattung – etwa "Opuntia" mit Angaben zu Namensgebung, Verbreitung, Herkunft, Aussehen, Arten, Entdeckungsgeschichte und Forschung sowie Literatur – folgen die einzelnen Arten in alphabetischer Ordnung. Unter "Opuntia chlorotica" findet der Leser dann zum Beispiel sämtliche Basisangaben inklusive einer Kurzbeschreibung von Wuchsform, Dornen, Blätter, Blüten, Früchte sowie Angaben zu eventuellen Verwandten. Um die unter den einzelnen Lemmata verwendeten Abkürzungen zu verstehen, ist ein Vorabstudium der "Begriffserläuterungen und Abkürzungsverzeichnis" vorne im Buch nötig.

Der Einleitungsteil bietet außerdem einen umfassenden Einblick in die Botanik der Kakteen. Auch dem Natur- und Artenschutz sowie der gärtnerischen Kultur von Kakteen – für viele Liebhaber ein besonders interessantes Kapitel von Roger Brown – wird Platz eingeräumt. Bemerkungen zur Entdeckungsgeschichte, zur Bedeutung der Gattungsnamen, zur Verbreitung und Ökologie sowie eine Klassifikation fehlen ebenso wenig wie im Anhang ein Literaturverzeichnis, eine Gattungsübersicht mit Artenzahlen sowie ein Register der Pflanzennamen und Synonyme.

Ein Manko ist das Fehlen von Verbreitungkarten, die zwar im Text angekündigt werden, die man aber im Anhang vergeblich sucht. Außerdem hätte manchem nicht so versierten Kakteenfreund ein Register geholfen, das die in der Umgangssprache gebräuchliche Namen – so "Feigenkaktus" (Opuntia) oder "Säulenkaktus" (Cereus) – auflistet und damit das Auffinden leichter macht. Ohne Kenntnis der lateinischen Fachbezeichnungen tut man sich schwer, das Gesuchte zu finden. Dennoch hat sich das Warten für den echten Kakteenfreund gelohnt. Bei recht happigen 99 Euro ist das Lexikon zwar keine preiswerte Lektüre, doch inhaltlich und von der Ausstattung her ist der Preis dennoch angemessen.

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