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Leiden Sie auch an Poincaritis?

Wer erinnert sich noch an Grigori Perelman? Oder an die Zeitungsbilder, die einen augenscheinlich etwas ungepflegten Mann Anfang 40 zeigten? Im Jahr 2006 waren die Medien voll von ihm, seine Bilder gingen um die Welt. Was machte diesen Menschen trotz seines eher wilden Äußeren plötzlich so berühmt? Es war sein Beweis zur Poincaré-Vermutung in der Topologie, einem Teilgebiet der Mathematik und benannt nach Henri Poincaré, der sie 1904 formuliert hatte. Noch im Jahr 2000 zählte das Clay Mathematics Institute im US-amerikanischen Cambridge die Poincaré-Vermutung zu den sieben bedeutendsten ungelösten mathematischen Probleme und setzte für seine Lösung einen Preis von einer Million US-Dollar aus.

Doch interessierte die Menschen 2006, als Perelman in den Vordergrund geriet, wirklich die Mathematik hinter dieser Vermutung? Wohl leider eher die wenigsten. Vielmehr stürzten sie sich darauf, dass das Genie Perelman mit der Fields-Medaille – dem "Nobelpreis" der Mathematik – ausgezeichnet werden sollte, was er aber ebenso wie das ausgelobte Preisgeld ablehnte. Grigori Perelman avancierte zum Medienstar wider Willen, der Mathematik hinter der Poincaré-Vermutung blieb ohnehin nur ein Schattendasein.

In dem Buch "Das Poincaré-Abenteuer" von Wissenschaftsautor George Szpiro richtet sich das Augenmerk zum Glück auf diesen Schwerpunkt. Der Autor versucht, populärwissenschaftlich und anschaulich zu erklären, um was es bei der Poincaré-Vermutung eigentlich geht – nur wenige wissen wohl, was wirklich dahinter steckt: "Jede einfach zusammenhängende, kompakte, unberandete 3-dimensionale Mannigfaltigkeit ist homöomorph zur 3-Sphäre."

Zugegeben: leider versteht das ein "Normalsterblicher" kaum. Doch genau aus diesem Grund schrieb Szpiro sein Buch. Denn kurz gesprochen erschließt uns die Poincaré-Vermutung die Geometrie höherer Dimensionen und damit nichts weniger als die Form unseres Universums. Der Autor erklärt in seinem Buch ganz ohne notwendiges mathematisches Vorwissen, was man sich unter einer Mannigfaltigkeit vorstellen kann und wie sie mathematisch definiert ist. Nach der Lektüre werden Sie in der Lage sein, zumindest ansatzweise zu erklären, was Poincaré vor 100 Jahren vermutet hatte. Und wen die Mathematik dahinter noch mehr interessiert, kann am Ende des Buches auf einige Anmerkungen zurückgreifen, die noch näher auf die Materie eingehen.

Aber nicht nur die reine Mathematik des Problems wird erläutert. Vielmehr soll der geschichtliche Hintergrund und der Kampf der Mathematiker, diese Vermutung endlich zu beweisen, deutlich werden. Es werden Porträts junger Mathematiker vorgestellt, die sich vergebens die Zähne an dem Poincaré ausgebissen haben und dann mitunter in ein tiefes Loch gefallen sind. Es gab nicht wenige Wissenschaftler, die von der Vermutung regelrecht besessen waren und daher an "Poincaritis" litten. Angesichts dieser "Schicksale" liest sich das Buch besser als jeder Krimi.

Mit seinem Buch wollte Szpiro ein breites Publikum ansprechen, und dies ist ihm vollends gelungen. Es ist aber auch für einen Mathematikstudenten geeignet, der einen ersten Eindruck und Einblick in Poincarés Denken und Mathematik erhalten möchte. Und vielleicht trägt das Werk auch dazu bei, Grigori Perelman wieder etwas mehr ins Bewusstsein der Menschen zu rücken: als begnadeten Forscher und nicht nur als etwas schrulligen Eigenbrötler.

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