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Krieg und Frieden

Iwan der Schreckliche, Dimitri der Falsche, Katharina die Große – es sind wohl auch die Beinamen der großen Zaren und Zarinnen, die der russischen Geschichte ein mystisches Flair verleihen. Das neue Buch der Hamburger Historikerin Claudia Weiss macht die von Aufstieg und Verfall gekennzeichnete Geschichte eines untergegangenen Reichs auch für Leser ohne Vorwissen zugänglich. Sie schildert etwa, wie es zur Schreckensherrschaft Iwans IV. kam und charakterisiert große Zaren wie Peter I. oder die deutschstämmige Katharina II.

Das Märchenhafte am 370 Jahre dauernden Zarenreich geht dabei nicht verloren. Weiss erzählt Biografien und Geschichten so mühelos und unterhaltsam, dass scheinbar trockene Fakten ganz nebenbei vermittelt werden. Quellenzitate platziert die Autorin unauffällig im Fließtext, Interpretationen zaristischer Handlungen erfolgen eher subtil. Dass Schneider und Schuster in der Regierungszeit Annas I. (1730 bis 1740) keineswegs zufällig "Hochkonjunktur hatten", zeigt Weiss' Beschreibung der Kaiserin als "Luxus liebende Tochter Iwans V.".

Auch die reiche Bebilderung leistet ihren Beitrag zum besseren Verständnis russischer Geschichte und Kultur. Wer sich mehr für die Rezeption der Zaren als für deren Lebensläufe oder für die Darstellung politischer Ereignisse in der russischen Malerei interessiert, kann den großformatigen Band auch als Kunstfolianten nutzen. Die sorgfältig ausgewählten Abbildungen führen dem Leser die Zeit ebenso plastisch vor Augen wie die Texte.

Die Februarrevolution, deren Höhepunkt die brutale Hinrichtung des letzten Zaren Nikolaus II. und seiner Familie bildete, liest sich bei Weiss weniger als abrupter Umsturz denn als logische Konsequenz des ständigen Lavierens zwischen Reformen und Traditionen, Krieg und Frieden. Der Untergang der Zarenherrschaft erscheint als Konsequenz des "Zwei Schritte vor, einen zurück"-Takts, der laut Weiss die Epoche bestimmte.

Der einzige Makel des Buchs fällt kaum ins Gewicht. Die vor allem soziologischen und kunsthistorischen Exkurse unterbrechen wegen ihrer ungünstigen Platzierung in den meisten Fällen den Lesefluss. Eine inhaltliche Bereicherung sind sie dennoch: Sie bilden eine angenehme Ergänzung zu den Beiträgen über die Herrschaft der Zaren, die sich auf Machtstreben und Kriegstaktiken konzentrierten.

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  • Quellen
epoc 4/2011

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