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Ratio versus Religion?

Biblische Schöpfungsgeschichte und die Evolutionsbiologie stehen einander meistens unversöhnlich gegenüber. Nicht so bei Ulrich Lüke, selbst Theologe und Biologe. In "Das Säugetier von Gottes Gnaden" versucht der Autor eine Brücke zwischen den traditionell zerstrittenen Lagern zu schlagen und hat dafür aktuelle, aber auch historische Argumenten zur Hand.

"Der Naturwissenschaftler glaubt, dass er weiß – der Christ weiß, dass er glaubt." Ulrich Lüke ist auf seiner Gratwanderung zwischen Glaube und Naturwissenschaft nicht allein. Viele große Denker und Wissenschaftler waren tiefgläubig: zum Beispiel Galileo Galilei, der Astronom Kopernikus oder der Augustinermönch Gregor Mendel, der Begründer der klassischen Vererbungslehre.

Auch in Lükes Augen sind die Darwin’sche Evolutionstheorie und die göttliche Schöpfungslehre nicht nur sehr wohl miteinander vereinbar. Beide ruhen für ihn sogar auf ein und demselben Fundament: dem menschlichen Glauben.

So erwächst nach Lükes Meinung jedes Streben nach Wahrheit und Erkenntnis aus quasireligiöser Reflexion. "Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind", formulierte einst Albert Einstein. Dieser Grundsatz gilt gleichermaßen für die Frage nach Beginn und Ende des Lebens, nach der (Un-)freiheit des menschlichen Wesens oder der von Gehirn und Geist.

Ulrich Lükes Werk liest sich erwartungsgemäß nicht so leicht wie ein Roman: Der Sprachwitz des Autors kontrastiert ein teils schwer verdauliches Fachvokabular. Um diese Kost schmackhaft zu machen, tut Lüke, was er kann: Er greift zu manch griffigem Zitat, mischt häppchenweise kleine Anekdoten unter und garniert alles mit einem bildhaften Sprachstil, der schließlich auch komplexe Zusammenhänge verständlich vermittelt.

Doch was denn nun: pro Schöpfung oder doch pro Evolutionslehre? Lüke bezieht lange Zeit keine klare Stellung, seine Stoßrichtung deutet sich eher zwischen den Zeilen an: So sind seine Aussagen fundiert und kompetent, weisen aber oft einen versteckten emotionalen Charakter auf, etwa in verschiedenen Passagen über die Stammzellforschung.

Unter dem Strich argumentiert der Autor meist vom fundamental-theologischen Standpunkt aus – was seinen Diskurs sehr subjektiv erscheinen lässt. Doch wen sollte das wundern? Für die Beantwortung existenzieller Fragen gibt es eben kein Patentrezept.

Und so trägt am Ende auch keine der beiden Wissenschaften – weder Theologie noch Biologie – den Sieg davon. "Nur die fundierte Kenntnis der jeweils anderen Disziplin und deren Gesetzmäßigkeiten ermöglicht einen respektvollen Umgang auf Augenhöhe", betont der Autor wiederholt.

Doch gerade weil Ulrich Lüke in vielen Passagen den direkten Schlagabtausch mit einem imaginären Gegner im Sinn hat, lohnt sich auch die Lektüre seines Buchs: Die Erörterung von Fragen, die Natur und Herkunft des Menschen betreffen, wurde selten so appetitlich serviert.

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  • Quellen
Gehirn und Geist 03/2007

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