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Wider den Fitnesswahn

Der niederländische Biologe, Schriftsteller und Journalist Midas Dekkers ist vor allem durch Rundfunk- und Fernsehsendungen bekannt geworden. International erfolgreich wurde er durch seine populärwissenschaftlichen Werke, in denen er auf unterhaltsame Weise gesellschaftliche Fragen untersucht und dabei häufig ungewöhnliche Standpunkte vertritt. In Deutschland wurde sein Buch "Geliebtes Tier" mehrfach aufgelegt.

"Sport bringt nichts. Er führt zu erhöhter Verletzungsgefahr und verkürzt das Leben. Er macht weder schön noch dünn noch gesund." Der Autor übt nicht nur heftige Kritik am Sport, sondern vor allem an der Gesellschaft, die sich von Sport- und Fitnesszwang, von zweifelhaften Schönheits- und Gesundheitsidealen zu sehr beeinflussen lässt. Dekkers fühlt sich belästigt von der permanenten Sportberichterstattung in Print- und Funkmedien. Er fühlt sich bei besinnlichen Spaziergängen in der Natur gestört von röchelnden, grell gekleideten Joggern, die urplötzlich neben ihm auftauchen und schnaufend wieder verschwinden.

Sport sei allenfalls etwas für junge Menschen, die ihre körperlichen Fähigkeiten über Bewegungsspiele überhaupt erst entwickeln. Allerdings nicht in Form von Schulsport! Kinder, die lieber ihren Geist schulen wollen, als sich körperlich zu verausgaben, solle man doch bitte nicht mit etwas derart Banalem wie Sport belästigen. Die staatlichen Subventionen für den Volkssport wären viel besser in die Bildung investiert.

Wieso kam der Mensch überhaupt auf die Idee, Sport zu treiben? Schließlich kommt die Natur schon Tausende von Jahren ohne Sport aus. Kein Tier käme auf die Idee, seine kostbar angefressene Energie für ein sinnloses Wettrennen zu vergeuden. Wie in der Biologie üblich, sucht Dekkers nach einem evolutionären Vorteil sportlicher Betätigung. Demnach würde der Mensch sich im Fitnessstudio quälen, um seine Attraktivität als Sexualpartner zu erhöhen. Das kann sogar sein; aber "Fitness" heißt bei den Biologen nur "Fortpflanzungserfolg", und den erziele im Zweifelsfall auch derjenige mit mehr Köpfchen und nicht, wer mehr Kraft und Ausdauer aufgebaut hat.

Dekkers’ Ausführungen zur Rolle des Sports im Wandel der Geschichte sind äußerst interessant. Seine idealistischen Wurzeln habe der Sport in der Annahme, der Geist ließe sich über den Körper formen. Ziel der Körperübungen sei der körperlich optimierte Mensch mit einem reinen Geist. Wie weit man seine körperliche Leistung durch Training überhaupt steigern könne, ist laut Dekkers genetisch vorgegeben. Der mühsam erworbene Trainingseffekt lasse sich aber nicht weitervererben. Um den Menschen langfristig zu verbessern, bliebe also nur die Zucht, die Selektion auf sportliche Körpermerkmale. Allein der Gedanke daran ist aber politisch absolut unkorrekt, obwohl er die logische Konsequenz wäre. Diese Ideen griffen vor allem totalitäre Regime mit Begeisterung auf. Hitler missbrauchte die gesamte Evolutionstheorie nicht nur für den Einsatz zur Menschenzucht, sondern rechtfertigte damit auch die Elimination unerwünschten genetischen Materials.

Grundsätzlich stimmt Dekkers mit den Ergebnissen der aktuellen Forschung überein: Körperliche Bewegung tut unserer Gesundheit gut. Unser Körper ist nicht dafür gemacht, den ganzen Tag im Auto, am Schreibtisch, am Esstisch oder auf der Couch zu verbringen. Gingen wir öfter mal zu Fuß, auf dem Weg zur Arbeit, im Haus, bei der Verrichtung der alltäglichen Aufgaben, dann reiche das schon, um die meisten gesundheitlichen Probleme der heutigen Gesellschaft zu verringern. Eine halbe bis ganze Stunde Spazierengehen täglich, oder mit dem Rad zur Arbeit fahren – das wäre Gold wert für die Gesundheit. Aber Sport? Nein danke!

Dass der Leistungssport, für den nur Wettkampf und Sieg zählen, nicht unbedingt gesundheitsfördernd ist, weiß sogar der wenig informierte Zeitgenosse. Auch ein Mensch, der sich auf Grund fragwürdiger Schönheitsideale oder nur, um seine Muskeln zu trainieren, über den Joggingparcours quält, tut seiner Gesundheit nicht wirklich etwas Gutes. Sport im Sinn einer Freizeitbeschäftigung sollte wohl Spaß machen. Diese Form der Motivation zieht der Autor aber erst auf den letzten beiden Seiten seines Buchs in Betracht. Und plötzlich fallen ihm sogar ein paar Beispiele von Tieren ein, die sich offensichtlich doch aus reinem Spaß an der Freude bewegen.

Liest man den Text flüchtig, könnte man sich als Sportler ständig persönlich angegriffen fühlen. Es bleibt primär der Eindruck, dass sich hier lediglich ein furchtbar unsportlicher Mensch auf etwas unsachliche Art und Weise über den Sport an sich mokiert.

Die wissenschaftlichen Argumente, mit denen Dekkers seine Thesen zu belegen versucht, hat er sehr willkürlich aus der Literatur herausgegriffen, wie es ihm gerade passt. Das mag man ihm verzeihen, will er doch damit nur seine ganz subjektive Meinung unterstreichen. Für bare Münze nehmen darf man das nicht.

Mit ein wenig Humor betrachtet wird das Bild differenzierter, und man entdeckt auch versöhnliche Aspekte. Dekkers’ Stil ist witzig und überrascht immer wieder durch einfallsreiche Metaphern. Vom Aufbau her ist das Buch eher unstrukturiert und hat gegen Ende echte Längen.

Insgesamt aber ist es eine durchaus amüsante Lektüre. Sporthasser werden an diesem Werk ihre helle Freude haben, genau wie diejenigen, die es sich mal wieder mit gutem Gewissen auf der Couch gemütlich machen wollen.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 11/2009

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