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Meilenstein der Buchgeschichte

Im Jahr 1844 reiste der junge evangelische Theologe Constantin Tischendorf mit einer kleinen Karawane durch die bizarre Felslandschaft des südlichen Sinai zum Katharinenkloster. Der Grund des Unternehmens: Der Gelehrte vermutete dort wertvolle alte Bibelhandschriften. In einem Abfallkorb der Klosterbibliothek, dessen Inhalt gerade entsorgt werden sollte, entdeckte er Teile eines uralten Pergamentkodexes. Tischendorf begriff rasch, dass diese losen Blätter aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. das bislang älteste und umfangreichste Manuskript der griechischen Bibel enthielten.

Die Mönche überließen ihm zunächst nur einen Teil der Seiten. Bei einem erneuten Besuch des Klosters im Jahr 1853 war der Rest plötzlich unauffindbar. Unklar ist, welche Rolle der russische Gelehrte Porfirij Uspenskij dabei spielte. Er hatte das Katharinenkloster nur wenige Monate nach Tischendorf besucht und ebenfalls einen Stapel antiker Pergamentblätter gefunden. Auch die verwickelten Umstände, unter denen 346 Seiten der Handschrift als Geschenk an den Zaren vom Sinai nach St. Petersburg gelangten, lassen sich nicht restlos aufklären. Im Jahr 1933 wurde ein Großteil der Schrift schließlich vom British Museum in London erworben. Gerüchten zufolge hätten britische Diplomaten den Sowjets zunächst angeboten, das Manuskript gegen die Gebeine von Karl Marx zu tauschen.

Mit kriminalistischem Spürsinn und auf der Grundlage zahlreicher bislang unveröffentlichter Briefe und Aufzeichnungen rekonstruiert der Greifswalder Neutestamentler Christfried Böttrich die verschlungene Geschichte der Entdeckung und Publikation des "Codex Sinaiticus" – eines der wichtigsten Zeugnisse für die Rekonstruktion des ältesten, griechischen Bibeltexts. Ausführlich beschreibt er die virtuelle Wiedervereinigung der in Leipzig, London und St. Petersburg aufbewahrten Handschriftenreste und weiterer im Jahre 1975 im Katharinenkloster gefundener Textfragmente. Ihre Digitalisierung und Publikation im Rahmen des internationalen Codex-Sinaiticus-Projekts (www.codex-sinaiticus.net/de) erlaubt seither allen Interessierten einen uneingeschränkten Zugriff auf eine der großen Wissenschaftssensationen des 19. Jahrhunderts.

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  • Quellen
epoc 4/2011

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