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Nüchterner Blick auf das Ende des Lebens

Für die Krebsforscher Richard Béliveau und Denis Gingras aus Montreal (Kanada) sind "Daten, Fakten, Unerklärliches" nur Mittel zum Zweck. Wie der Originaltitel "La mort. Mieux la comprendre et moins la craindre pour mieux célébrer la vie" deutlich macht, verfolgen sie eine aufklärerische Absicht: Die Wissenschaft "kann die Mechanismen entmystifizieren, die beim Sterben wirksam sind, und das letzte Tabu unserer Gesellschaft in neuem Licht erscheinen lassen".

Ihre Absicht, "die großen Linien des Lebens darzustellen und anhand konkreter Beispiele die vielen möglichen Arten des Sterbens zu veranschaulichen", realisieren sie in elf Kapiteln. Auf Tröstliches ("Sterben gehört zum Leben") folgen unter anderem Physiologisches ("Schleichender Tod"; "Tod durch Infektionen"), Mörderisches ("Gifte: Faszination und Gefahr", "Gewaltsame Todesarten "), Unappetitliches ("Post-mortem-Prozesse") und Komisches ("Zum Totlachen").

Das ganze Werk ist durchgehend und reichlich mit anschaulichen Illustrationen ausgestattet. Bereits das Eingangskapitel "Schweren Herzens" zeigt die auch didaktisch wohlüberlegte Vorgehensweise der Autoren. Der Tod sei gar nicht so mysteriös, wie man oft glaube. Es handle sich um ein normales und sogar faszinierendes Phänomen, das wir unbedingt besser kennen lernen müssten.

Und dann legen die beiden los. Die Sterbemedizin weiß immer noch nicht, wo und wann der Tod tatsächlich eintritt: im Herzen oder im Gehirn? Es folgt eine spannende Reise, auf der wir über das Gehirn und seine Evolution sowie seine Funktion auf der Ebene einzelner Moleküle, namentlich der Neurotransmitter, so viel erfahren, dass sich die komplexen Verbindungslinien zwischen Körper und Geist deutlicher herauskristallisieren.

Allerdings ist dies alles – trotz gigantischer Erkenntnisschübe in der Hirnforschung – bislang nur in Ansätzen erfasst. "Der Tod ist der Tod dieser zerebralen Seele", lesen wir verwundert, um dann zu erfahren, dass wir den Tod nur begreifen können, wenn wir die Lebensbedingungen erforschen, die ihn auslösen. Und wie verstehen wir diese geheimnisvollen Prozesse in uns? Indem wir uns den Vorgang der Apoptose vergegenwärtigen, der im Buch auf anschauliche Weise dargestellt ist.

"Jeden Tag opfern sich ungefähr zehn Milliarden unserer Zellen, die ineffektiv geworden sind, in absoluter Anonymität durch den Prozess der Apoptose. Zum Glück wird jede von ihnen sogleich durch eine neue, leistungsfähige Zelle ersetzt."

Und Leben im Bewusstsein des Todes? Viele geheimnisvolle Rituale in den unterschiedlichsten Kulturen fordern den Tod mit mystischen Handlungen heraus, spielen zum Beispiel bei der Zubereitung des japanischen Kugelfischs Fugu mit der tödlichen Wirkung seines Gifts, welche die des Zyankali vielfach übertrifft. Auch Vampire, Werwölfe und Zombies tauchen im Kapitel auf. Doch die Autoren tischen nicht einfach irgendwelche Horrorgeschichten auf, sondern gehen auf der Grundlage ethnologischer Forschungen den Spuren nach, an deren Ausgangspunkt stets die Angst vor dem Tod lauert.

Geheimnisvolle Giftmorde, die richtige Handhabung von Schlangentoxinen, die Herstellung tödlicher Pflanzenextrakte bei Naturvölkern, chemische Gifte zur Massenvernichtung von Tieren und Menschen, aber auch die Nutzung eigentlich schädlicher Stoffe zur Therapie exotischer Krankheiten – dies präsentiert das Kapitel "Gifte: Faszination und Gefahr" mit farbigen Abbildungen und klar strukturierten Texten.

Auch in den Kapiteln über gewaltsame und spektakuläre Todesarten dominiert sachliche Darstellung auf der Grundlage von historischen Quellen. Ein besonders spannendes Kapitel dokumentiert Post-mortem-Prozesse. Hier geht es um die Sterbekaskade des Organismus, den Geruch des Todes, die Arbeit von Insekten bei der Beseitigung von Leichen und die Mumifizierung von Leichen, die im Lauf der Jahrhunderte durch immer neue Verfahren bereichert wurde.

Besonders verstörend ist der Bericht über die Selbstmumifizierung ("Sokushinbutsu"): Durch eine aushungernde Diät und gezielte Selbstvergiftung führten manche Mönche im nördlichen Japan über mehrere Jahre hinweg ihren Tod so herbei, dass die in der Leiche verbliebenen Gifte die Verwesung des Körpers verhinderten.

Im letzten Kapitel "Zum Totlachen" haben die Autoren lebenskluge Ratschläge über den Umgang mit dem Tod aus der Feder bedeutender Wissenschaftler und Schriftsteller versammelt, darunter die hintersinnige Sentenz "Er starb mit einer schönen Zukunft hinter sich" von James Joyce, dazu Sprichwörter, welche die Unabwendbarkeit des Todes, aber auch dessen scherzhafte und skurrile Überwindung zum Ausdruck bringen.

Und die Angst vor dem Tod? Sie kann der Mensch nach Ansicht von Béliveau und Gingras nur überwinden, wenn er den Tod akzeptiert, indem er verstehen lernt, was das Leben entstehen lässt und aufrechterhält. Es ist eine lebenslange Aufgabe, bei deren Umsetzung die vorliegende populärwissenschaftliche Publikation eine in jeder Hinsicht vorbildliche Hilfestellung leistet.

Als "Schlussfolgerung" außerhalb der Kapiteleinteilung geben uns die Autoren den Rat auf den Weg: "Anstatt uns vor dem Tod zu fürchten, sollten wir lieber unser kurzes Dasein auf der Erde genießen und uns über das Leben und Glück freuen, dass wir an diesem Abenteuer teilhaben können."

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 4/2013

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