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Kuschelkissen statt Futterspender

Schon zu Lebzeiten zählte er zu den umstrittensten Figuren seiner Zunft: Harry Harlow (1905 – 1981), Psychologe und Primatenforscher. Was hat er getan, um sich diesen zweifelhaften Ruf zu verdienen? Seine grausamen Methoden, aber auch seine Verdienste schildert die preisgekrönte Wissenschaftsjournalistin Deborah Blum, Professorin an der University of Wisconsin in Madison, in diesem Buch.

Das Foto auf dem Umschlag – ein bei Tierschützern beliebtes Motiv – gibt den ersten Hinweis: Verschüchtert klammert sich ein Äffchen an eine pelzige Attrappe. Über 40 Jahre hinweg, von 1932 bis 1974, experimentierte Harlow mit Affenkindern – überwiegend in seinem Labor an der University of Wisconsin, an der heute auch die Autorin forscht und lehrt.

Der Primatenforscher testete unter anderem, wie intelligent sich die Tiere bei verschiedenen Tests verhielten. Um den Nachschub an Versuchstieren zu sichern, entschloss er sich schließlich sogar, sie selbst zu züchten – und stellte sich so das erste Mal die Frage, ob man ein gesundes Affenkind auch "ohne Liebe" aufziehen könne. Harlow wollte herausfinden, wie die Jungtiere reagieren, wenn sie ohne Muttertier aufwachsen – und dafür war ihm jedes Mittel recht. Die Idee für eine künstliche Mutter war geboren.

So entdeckte Harlow, dass weder Kopf noch Augen nötig waren, damit die Affenbabys eine Attrappe als Ersatz akzeptierten. Vielmehr ging es ihnen um den Körper: War er weich und anschmiegsam, klammerten sich die Affenbabys daran, als wenn es sich um eine leibliche Mutter handelte.

Affenbabys klammern sich an Stoffattrappen

Um den kuscheligen Ersatzmüttern Konkurrenz zu machen, baute der Psychologe sogar Drahtgestelle, die Nahrung gaben. Doch die Kleinen holten sich dort nur Milch und klammerten sich auf der Suche nach Wärme weiter an die weichen, stoffbespannten Attrappen. Damit revolutionierte Harlow die Entwicklungspsychologie: Er widerlegte die populäre Annahme, dass die frühe Mutter-Kind-Beziehung lediglich auf Fütterung basierte und dass darüber hinaus auch gar nicht viel nötig sei.

Doch der Erfolg rief auch viele Kritiker auf den Plan. Der Primatenforscher geriet in Verruf; viele Studenten empfanden die Experimente als grausam. Um zu untersuchen, wie sich Isolation auf das Sozialverhalten von Affen auswirkte, hielt er manche Jungtiere in dunklen Räumen gefangen. Häufig entwickelten sie massive Verhaltensstörungen.

Im Verlauf ihrer drei Jahre währenden Recherche erlebte die Pulitzer-Preisträgerin Blum zwiespältige Gefühle gegenüber dem umstrittenen Forscher. Er habe sich tief in ihre Gehirnwindungen eingenistet – "ein unbequemer Mitbewohner, so stachelig wie ein Igel", berichtet sie. Doch die Mühe hat sich gelohnt: Meisterhaft zieht die für spannende Wissenschaftsreportagen bekannte Journalistin den Leser in ihren Bann.
  • Quellen
Gehirn&Geist 9/2010

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