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Publikumsbeschimpfung

Ein Pfund Mut statt einer Tonne Ausreden", fordert die ehemalige "taz"-Chefredakteurin Bascha Mika von Akademikerinnen, die sich nach der Geburt ihres ersten Kindes in die traditionelle Mutterrolle begeben. Die Journa­listikprofessorin prangert deren "Geiselmentalität", "Feigheit" und "Selbstbetrug" an und untermauert die Kritik mit zahlreichen Statistiken und Beispielen dafür, wie gebildete Frauen den Löwenanteil der Hausarbeit übernehmen, wie sie ihre Existenz auf ihre Kinder zuschneiden und der einstige Beruf zum Teilzeithobby wird.

Die meisten Frauen führten pragmatische Gründe für ihre Situation an, so Mika. Doch die wahren Ursachen lägen anderswo, zum Beispiel in ihrem auf Ergebenheit getrimmten "Klein-Mädchen-Gemüt" und der Angst davor, den Partner zu verlieren. "Echte Überzeugungs­täterin­nen sind ein Auslaufmodell", glaubt die Journalistin. Sie richte sich ausdrücklich an Frauen, die eigentlich auf Augenhöhe mit ihrem Partner sein wollen, es aber nicht sind.

Allerdings kommt Mika über Bestandsaufnahme und Anklage nicht hinaus. Sie versucht nicht einmal, das Zusammenspiel von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Wertvorstellungen und Partnerschaftsdynamik in seiner ganzen Komplexität darzustellen. Tatsächlich wissen gut ausgebildete Frauen, dass sie die Kinderbetreuung oft mit ihrer Karriere und Abzügen in der Rente bezahlen, und entscheiden sich trotzdem dafür – nicht nur aus Bequemlichkeit oder Konfliktscheu, sondern weil sie lieber für ihre Kinder da sein wollen, als im Büro zu sitzen. Aber selbst wenn sie eigentlich auf Karriere gepolt wären: In der Regel verdient er mehr als sie und hat so die pragmatischen Argumente auf seiner Seite.

Anstatt die Ursachen dieser Missverhältnisse zu analysieren, klagt Mika fortwährend und pauschal über die "Feigheit" der Frauen, argumentiert plakativ und präsentiert praktisch ­keine Gegen­entwürfe. Dass sie glaubt, derart polemi­sieren zu müssen, zeugt von wenig Einfühlungsvermögen in die Psychologie der angesprochenen Frauen, deren Lebenskonzept der Autorin offenbar zuwider ist. Beispiele für einen gelungenen gleichberechtigten Alltag hätten die Zielgruppe gewiss eher zu Veränderungen motiviert als dieser Frontalangriff, der gerade wegen der Polemik starken Widerstand auslöst und so selbst bei liberalen Blättern Unmut hervorgerufen hat. Schade, denn die Kritik ist in ihrem Kern sicher nicht falsch, in der Umsetzung allerdings missglückt.

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  • Quellen
Gehirn&Geist 6/2012

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