»Die Geschichte der Botanik in 300 Büchern«: Pflanzenkunde als Fest der Sinne
Zur Historie der Botanik hatte der Buchmarkt im deutschsprachigen Raum bisher erstaunlich wenig Grundlegendes zu bieten. Nach meinen Recherchen ist Karl Mägdefraus »Geschichte der Botanik«, die sich »Leben und Leistungen großer Forscher« widmet, noch der aktuellste Beitrag – dessen zweite überarbeite Auflage ist 2013 erschienen. Die Abbildungen darin beschränken sich auf Porträts großer Botaniker.
Gute Startbedingungen also für dieses Werk, das »300 Bücher« als Leitfaden für die Erzählung der Geschichte der Pflanzenkunde nutzt. Ob es tatsächlich genau 300 sind, habe ich nicht nachgezählt – aber der Ansatz, eine moderne Geschichte der Botanik anhand des illustrierten Schrifttums vom alten Ägypten bis heute zu schreiben, geht voll auf. Auch die über 300 zum Teil fantastischen Abbildungen aus den verwendeten Büchern sorgen für eine gelungene Darstellung sowohl von Pflanzen als auch der Lebensläufe bedeutender Männer – und heute auch Frauen.
Im ersten Kapitel bewegt man sich im Kosmos medizinischer Handschriften. Denn die Botanik war früher schon und ist bis heute eng mit Medizin und Heilkunde verbunden. Diese Schriften enthielten Beschwörungen, Zaubersprüche und Zubereitungsvorschriften für Heilungen, und in ihnen findet sich auch die erste Erwähnung von »Weichteiltumoren«. Es folgen die frühe Botanik Griechenlands und der griechisch-römischen Welt, repräsentiert durch große Namen wie Plinius, Dioskurides oder Theophrast. Das Mittelalter rettete die alten Schriften in den Kopierstuben der Klöster. Dabei entstanden nun auch Bilder, die in ihrer Originaltreue an die viel später erschienenen Kräuterbücher erinnern und nicht nur an die menschlicher Fantasie entsprungenen Darstellungen von Alraunenwurzeln. Das gedruckte Buch aber fehlte noch.
Bevor sich die Erfindung Gutenbergs (1400–1468) endgültig durchsetzte, entstanden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sogenannte Inkunabeln oder auch »Wiegendrucke«. Hier war es etwa möglich, Abbildungen in Form von Holzschnitten in den Satz zu integrieren – ein damals sehr erfolgreich genutztes Verfahren, das auch in der Zeit der »Kräuterbücher« (nach 1492) und bei deren Verbreitung in Raubkopien eine Rolle spielte. Aus dem damaligen »Deutschland« waren Otto Brunfels (1488–1534) oder Leonhart Fuchs (1501–1566) wichtige Protagonisten. Beide kritisierten die Texte der Vorgänger und verbesserten die Abbildungen (etwa durch nachträgliches Kolorieren mit Aquarellfarben) so weit, dass der große Traum der Botanik, in ihren Darstellungen »echte Pflanzen in ihrer vollen Schönheit wiederzugeben«, in Erfüllung ging.
»Gott erschuf, Linné ordnete«
In Italien entstanden die ersten botanischen Gärten (in Pisa etwa 1544) und Herbarien (1563). Ab etwa 1600 wuchs das Interesse an der Klassifikation der heimischen Pflanzenwelt, an der Erfassung der Pflanzenwelt nach geografischen Gesichtspunkten und an der Verschönerung der Gärten durch exotische Blumen. Der Hortus Eystettensis, der »Garten von Eichstätt«, gilt als eine der größten Kostbarkeiten der botanischen Literatur, avancierte damals zum »Bestseller« und wird heute noch verlegt. Carl von Linné (1707–1778) entwickelte ein System, mit dem man alle Lebewesen mit nur zwei (lateinischen) Namen eindeutig benennen kann, das ebenfalls bis heute verwendet wird: »Gott erschuf, Linné ordnete«. So begann die Botanik im 18. Jahrhundert, sich als eigenes Fach an den Universitäten zu etablieren.
Mit dem Zeitalter der Aufklärung kam auch das Mikroskop. Mit ihm konnte man jetzt auch in die Pflanzen schauen und ihre Anatomie entziffern. Bedeutende Forschungsergebnisse brachten auch James Cook, Alexander von Humboldt oder Vater (Johann) und Sohn (Georg) Forster von ihren Reisen mit. Mit dabei waren immer Künstler – entweder als Zeichner nach dem Original oder als Präparatoren der Herbarblätter.
Sicher über 100 erstklassige Ergebnisse ihrer Studien werden im Buch abgebildet. Sie sind so gut – und meist natürlich größer – gedruckt, dass ein Raster erst bei zehnfacher Vergrößerung sichtbar wird. Darunter finden sich auch »Stillleben« in Vasen, Darstellungen mit Tieren (etwa bei Maria Sibylla Merian (1647–1717)) oder Einzelbilder etwa von einer Rose oder einer Verwandten unserer Türkenbundlilie aus Nordamerika von Pierre-Joseph Redouté (1759–1840), einem der größten Blumenmaler überhaupt.
Die letzten beiden Kapitel landen auf vielerlei Wegen in der Gegenwart. Charles Darwin (1809–1882) und seine Mitstreiter werden gewürdigt, auch Frauen spielen eine immer größere Rolle. Das sollte auch in der Zukunft so bleiben, denn sie sind – zumindest in England – bis heute dominierend in der Darstellung der Blumen. Moderne Bestimmungsbücher werden vorgestellt und zahlreiche zum Teil riesige Regionalfloren. Im Laufe der Zeit wird das gezeichnete Bild dabei immer häufiger durch eine Farbfotografie ersetzt.
Insgesamt liegt der Schwerpunkt des Werks im englischen Sprachraum. So fehlen zum Beispiel der Pflanzenfotograf Karl Blossfeldt (1865–1932), der die künstlerische Seite der Botanik entdeckte, oder Erich Nelson (1897–1980) mit seinen wissenschaftlichen Orchideenzeichnungen. Aber das schmälert den Wert des Buchs in keiner Weise, sondern erklärt sich aus der Herkunft der Autorinnen. Carolyn Fry war unter anderem Redakteurin der Zeitschrift der »Royal Geographical Society«, ihre Kollegin Emma Wayland ist ebenfalls Journalistin und Autorin, außerdem führt sie seit 15 Jahren Besucher durch die »Royal Botanic Gardens, Kew« in London.
Ihr Werk endet mit einer melancholischen Note. Die Journalistinnen skizzieren die auch mit Blick auf die Pflanzenwelt zu erwartenden Probleme, zudem befürchten sie den Untergang des gedruckten wissenschaftlichen Buchs. Mit ihrem Werk stemmen sie sich gegen beide Entwicklungen. Ihr gemeinsames Buch ist ein wunderbares.
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