Direkt zum Inhalt

Halluzinationen, Träume und die Wirklichkeit

Nichts ist so, wie es scheint. Diese Erkenntnis gilt heutzutage als trivial. Wir leben in einer Welt der Bilder, die uns etwas vortäuschen. Wo hört die Wirklichkeit auf und ab wann beginnen die Träume? Selbst gesunde Menschen vermögen dies des Öfteren nicht mit Sicherheit zu unterscheiden, noch viel schwieriger ist es aber für Kranke. Und hier stellt sich gleich die nächste Frage: Wo hört das Gesundsein auf, und ab wann beginnt die Krankheit? Das Buch "Die irreale Welt in unserem Kopf" des Lübecker Neuropsychologen Erich Kasten sucht nach Antworten darauf und vermittelt gleichzeitig einen gut verständlichen Überblick über die verschiedenen Formen von Sinnestäuschungen. Hierbei wird deutlich: Wir nehmen nicht nur mit unseren Sinnen wahr, sondern selbstverständlich auch mit unserem Gehirn.

Halluzinationen werden oft leichtfertig mit Schizophrenie gleichgesetzt. So wurden völlig gesunde Menschen wochenlang in psychiatrischen Kliniken eingesperrt, nur weil sie ein einziges Mal gesagt hatten, sie würden Stimmen hören. Doch zur Schizophrenie gehört mehr: Schizophrene fühlen sich von Fremden gelenkt, hören kommentierende Stimmen und merken, dass ihre Gedanken laut werden. Neben visuellen und akustischen können im Verlauf einer Schizophrenie auch taktile Halluzinationen auftreten: "Mit der Zeit wurden die Berührungen, die ich empfand, immer intensiver", schreibt ein Erkrankter. Trotz der Schwere der Erkrankung besteht kaum Krankheitseinsicht.

Schizophrenie ist außerdem nicht die einzige Störung, die mit Trugwahrnehmungen einhergehen kann. Halluzinationen können als eigenständiges Symptom auftreten, sie sind in Zusammenhang mit Depressionen und Manie beobachtet worden, und sie treten bei Angsterkrankungen auf. Auch Gehirnerkrankungen wie Durchblutungsstörungen, Parkinson oder Demenz können Halluzinationen hervorrufen. Während Kranke teure Medikamente schlucken, um ihre Halluzinationen loszuwerden, geben manche Drogensüchtige noch mehr Geld aus, um solche Phänomene erleben zu können. Drogenbedingte Veränderungen des Erlebens haben offenbar etwas Faszinierendes. Doch sie bergen die Gefahr in sich, dass die Betroffenen ihre Lebensfreude nur noch aus dem Drogenkonsum beziehen, der Liebe und Partnerschaft ersetzt und den Berufsanschluss verhindert.

1970 stellte der Hirnforscher t. Itil die interessante Frage, ob Halluzinationen lediglich Träume sind, die im Wachzustand auftreten. Es gibt Schlafphasen, in denen die Augen bei geschlossenen Lidern schnell hin- und herbewegt werden. Weckt man einen Schlafenden in dieser Phase, so berichtet er zumeist, gerade geträumt zu haben. Warum träumen wir überhaupt? Im Schlaf wird neu gelerntes Wissen gefestigt, Träume schützen vor dem Vergessen, meint Erich Kasten.

Das nächtliche Traumgeschehen ist eine Folge mangelnder Stimulation – ähnlich wie die Halluzinationen aus Langeweile. Versuchspersonen, die sich 40 Minuten in schalldichten verdunkelten Räumen aufhielten, berichteten zumeist von akustischen und visuellen Halluzinationen. Langeweile ist also ein unangenehmes Gefühl. Die mangelnde Stimulation bringt das Gehirn dazu, selbst für seine Unterhaltung zu sorgen, indem es Erlebnisse aus seinem Gedächtnis abruft.

Parapsychologie, Todeserfahrungen, Extremerfahrungen etcetera – Kasten geht auf zahlreiche weitere Formen von Halluzinationen ein und stellt sie in spannender Weise dar. In vielen Fallbeispielen lässt er die Betroffenen selbst zu Wort kommen. Allerdings bleibt die Frage nach dem Warum häufig ungeklärt, möglicherweise auch, weil die heutige Forschung sie zurzeit noch nicht beantworten kann. Doch nicht einmal theoretische Erwägungen werden von Kasten genauer dargestellt. Von Nachteil ist, dass kein einheitliches Gesamtkonzept erkennbar ist, in das die zahlreichen Formen von Halluzinationen eingebettet sind. Viele Zusammenhänge bleiben daher ungeklärt.

Fazit: "Die irreale Welt in unserem Kopf" von Erich Kasten ist ein verständlich geschriebenes Buch zu einem angemessenen Preis. Es beschränkt sich auf ausgewählte Themen und geht nicht bis ins kleinste Detail.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.