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Und wieder mal die Sonne

Kaum erschienen, hat "Die kalte Sonne" Anfang Februar eine gewaltige Aufregung ausgelöst. Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning erwischten einen perfekten Zeitpunkt, denn Europa erstarrte gerade in einer Kältewelle. "Bild" gab den Autoren Raum, für ihre Sicht der Dinge zu werben. Andere Medien fielen über das Buch her, als hätte Beelzebub persönlich den Griffel geführt.

Es ist immer ein Ereignis, wenn ein Prominenter die Seiten wechselt. Fritz Vahrenholt machte 1978 Schlagzeilen, als er – gemeinsam mit Egmont R. Koch – in dem Buch "Seveso ist überall" die Risiken der chemischen Industrie anprangerte. Von 1991 bis 1997 war er für die SPD Umweltsenator in Hamburg. Danach wechselte der studierte Chemiker in die Wirtschaft. Seit 1999 lehrt er außerdem als Professor an der Universität Hamburg. Zurzeit ist Vahrenholt Geschäftsführer von RWE Innogy, der Tochter des Energiekonzerns RWE für erneuerbare Energiequellen. Noch bis vor wenigen Jahren warnte er vor den Gefahren der globalen Erwärmung. Jetzt sagt er, wir könnten uns Zeit lassen mit der Energiewende. Die "kalte Sonne" gönne uns vorerst eine Verschnaufpause.

Cover 4 2012

Vahrenholts Koautor, der Geologe Sebastian Lüning, arbeitet für RWE Dea, ein Explorations- und Förderunternehmen für Erdöl und Erdgas. Vier wissenschaftliche Gastautoren haben einzelne Kapitel geschrieben: Die für ihre Außenseiterthesen bekannten Professoren Nicola Scafetta, Nir Shaviv, Henrik Svensmark und Werner Weber erläutern, wie die Sonne das Klima der Erde beeinflussen könnte.

"Mindestens die Hälfte der Erwärmung der letzten 40 Jahre", schreiben Vahrenholt und Lüning, sei "dem Einfluss der Sonne sowie zyklischen ozeanischen Oszillationen" geschuldet. Bis 2040 sei wegen der abnehmenden Aktivität der Sonne und der Meereszyklen mit einer Abkühlung zu rechnen, bis Ende des Jahrhunderts mit einer Erwärmung von einem Grad Celsius. Das Zwei-Grad-Ziel werde also ohnehin eingehalten. Auf einen "hektischen und daher riskanten Umbau der gesamten Industrielandschaft innerhalb von ein bis zwei Jahrzehnten" könne man darum verzichten.

Nicht nur die Energiezufuhr durch die Sonnenstrahlung selbst werde abnehmen; gleichzeitig lasse das Magnetfeld der Sonne nach, das die Erde bis zu einem gewissen Grad vor der kosmischen Strahlung abschirmt. Die energiereichen Partikel aus dem Weltraum würden daher vermehrt in die Atmosphäre eindringen und dort Kondensationskeime für kühlende Wolken bilden. Insgesamt seien die Auswirkungen der Sonnenaktivität auf das Klima viel größer, als es der Uno-Klimarat IPCC darstelle. Das Gremium ignoriere Mechanismen, die den solaren Einfluss verstärken würden.

Die meisten Fachleute, namentlich Reto Knutti, Mojib Latif, Jochem Marotzke und Hans von Storch, betrachten diese Thesen jedoch als bereits widerlegt oder zumindest höchst spekulativ. Zwar haben Schwankungen der Sonnenaktivität das Klima in den vergangenen Jahrhunderten beeinflusst, wie sich an natürlichen Klimaarchiven in Sedimenten und Eisbohrkernen erkennen lässt. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts aber wird die Entwicklung des Klimas nach ihrer Ansicht von der Erwärmung durch den verstärkten Treibhauseffekt dominiert.

Wo die Kondensationskeime für die Wolkenbildung herkommen, ist allerdings noch nicht vollständig geklärt. Von der Erd- oder Meeresoberfläche hochgewirbelte Partikel tragen dazu nur die Hälfte bei. Für den Rest ist ionisierende Strahlung aus dem Weltall in der Tat ein Kandidat. Zurzeit laufen entsprechende Experimente am europäischen Kernforschungszentrum CERN. Es gilt aber als sehr zweifelhaft, ob sich durch die Strahlung Kondensationskeime in ausreichender Größe und Menge bilden würden.

Was die ozeanischen Klimaschwankungen angeht, weisen Vahrenholt und Lüning zu Recht darauf hin, dass die Atlantische Multidekadische Oszillation und die Pazifische Dekaden-Oszillation die globale Mitteltemperatur auf und ab treiben können. Diese werden aber – anders, als die Autoren behaupten  – in den IPCC-Berichten keineswegs vernachlässigt. Ozeanische Oszillationen sind in den Computermodellen zur Simulation des Klimas enthalten und gehen, nachdem die Modelle an Beobachtungsdaten geeicht wurden, mit in die Klimaprognosen des IPCC ein. Wohl hegen manche Forscher, etwa Judith Curry vom Georgia Institute of Technoloy, Zweifel an der Güte der Modelle und des gesamten Verfahrens und halten darum die IPCC-Warnungen für übertrieben. Das haben die Buchautoren aber nicht herausgearbeitet.

Das grundsätzliche Problem des Buchs liegt darin, dass Vahrenholt und Lüning sich nicht gut genug in der Klimaforschung auskennen. Daher stolpert man über viele Ungenauigkeiten, Missverständnisse und Fehler. So behaupten die Autoren auf S. 25, der IPCC habe prognostiziert, dass die Temperaturen pro Jahrzehnt um 0,2 Grad Celsius zunehmen würden, doch in den letzten Jahren sei ja kein Temperaturanstieg mehr zu verzeichnen gewesen. Haben sie den Klimarat bei einer Fehleinschätzung ertappt? Nein – richtig ist, dass der IPCC unter bestimmten plausiblen Annahmen für die kommenden 20 Jahre einen gemittelten Anstieg von 0,2 Grad pro Jahrzehnt vorhergesagt hat. Er kann durchaus von jahrelangen Erwärmungspausen (wie seit 2002) unterbrochen werden.

Nichts spricht dagegen, auf noch offene Fragen in der Klimaforschung hinzuweisen. Es gibt zweifellos auch Mängel in der IPCC-Berichterstattung. Fehlerhafte Analysen und verwegene Prognosen helfen aber niemandem weiter. Das Autorenduo hat es damit verpasst, einen aufklärenden Beitrag zur Klimadebatte zu leisten. Es ist bedauerlich, dass dieses mängelbehaftete Buch so viel Aufmerksamkeit gefunden hat. Die Polarisierung der Debatte über die globale Erwärmung hat dadurch wieder zugenommen.

Man darf gewiss auch über die Effektivität der Maßnahmen streiten, die im Zuge der Energiewende getroffen werden. Vahrenholt und Lüning legen im letzten Kapitel den Finger in diese Wunde. Hätten sie sich doch nur auf das Thema beschränkt! An der Wissenschaft jedoch haben sich die beiden Autoren verhoben.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 4/2012

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