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Plädoyer für die Macht der Gene

"Nichts in der Biologie ergibt Sinn, außer im Lichte der Evolution." Dieses Zitat des russischen Evolutionsbiologen Theodosius Dobzhansky (1900 – 1975) gilt nicht zuletzt auch für das menschliche Verhalten. Was wir sind, wie wir reagieren, was wir tun und lassen – das alles ist unbestritten Teil unseres stammesgeschichtlichen Erbes. Wissenschaftler führten daher in den 1960er Jahren Genetik, Ethologie, Psychologie sowie verwandte Gebiete zusammen und hoben die Soziobiologie aus der Taufe – mit dem Ziel, die biologischen Grundlagen des Sozialverhaltens zu ergründen.

Von Beginn an war die neue Disziplin höchst umstritten, weil ihre Vertreter das menschliche Verhalten unter der Maßgabe von Selektion und dem Kampf ums Überleben analysierten. Das Schreckgespenst der Rassenlehre und des Sozialdarwinismus werde damit weiter genährt, so die Kritiker. Bis heute hat die Soziobiologie nicht nur Freunde, auch wenn außer Frage steht, dass unser Verhalten im Kern ein Ergebnis der Evolution ist.

Derlei Bedenken spielen bei Eckart Voland allerdings keine Rolle. Der Philosoph von der Universität Gießen hält ein begeistertes Plädoyer für die allumfassende Deutungskraft der Disziplin. Seine 18 Lektionen zur "Natur des Menschen" sind die erweiterte Version einer Artikelserie für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Was in einer Tagespublikation mit feuille-tonistischem Tonfall funktionieren mag, misslingt allerdings in Buchform. Der schmale Band lässt jede Distanz, jede kritische Auseinandersetzung und Analyse vermissen. Die häufigen Wiederholungen sind da noch das geringste Problem.

Im Grunde variieren alle Kapitel nur das eine Thema: Der Mensch ist ein Produkt seiner Gene. Sie haben ihn im Griff, sodass er alles dafür tut, sie an seine Nachkommen weiterzugeben. Egal, ob man das Verhalten des Menschen gegenüber dem anderen Geschlecht untersucht, gegenüber den Großeltern oder den eigenen Kindern: In letzter Konsequenz diene alles einzig dazu, das Fortbestehen der eigenen Gene zu sichern.

Voland ist offenbar ein großer Fan von Richard Dawkins’ 1978 erschienenem Buch "Das egoistische Gen". Mehrfach drängt der Philosoph seine Leser zu dessen Erkenntnis, dass der Mensch nur der "Exekutor eines biologischen Programms" sei. Nichts gegen überspitzte Formulierungen – aber Voland scheint sie wörtlich zu nehmen. Etwa dann, wenn er im Gewissen "ein Instrument elterlichen Parasitismus" zu erkennen glaubt.

An anderer Stelle verlieren sich seine Gedanken im Nebel sprachlicher Banalitäten. Der Satz "Evolution produziert klare Verhältnisse" beispielsweise könnte ebenso richtig wie falsch sein – denn was soll er uns genau sagen? Klare Verhältnisse fehlen an dieser Stelle ebenso wie im weiteren Verlauf der Argumentation.

Auch offenkundige Widersprüche sind zu entdecken: Einerseits zitiert Voland immer wieder Tierexperimente, um menschliche Verhaltensweisen zu deuten. Andererseits schreibt er selbst, man solle von Tierbeobachtungen nicht vorschnell auf den Menschen schließen. Einerseits singt er ein Loblied auf die Gene, andererseits sollen genetische Differenzen keine Unterschiede im Verhalten erklären können. Ja, was denn nun? Das Buch wird als "Grundkurs" in Soziobiologie angepriesen. Pardon, aber ein solcher Unterricht sollte weniger oberflächlich und programmatisch ausfallen.

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  • Quellen
Gehirn und Geist 4/2008

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