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Selektive Nachhilfe in Geschichte

Wissenschaft war die letzten hundert Jahre extrem erfolgreich – so sehr, dass eine enorme Spezialisierung notwendig wurde. Universalgelehrte gibt es nicht mehr, aktive Forscher sind zwangsläufig Fachidioten – was völligwertfrei gemeint ist, denn nur so kann weiterer Wissenszuwachs gelingen. Aber es gibt interessante Nebeneffekte: Innerhalb eines Fachgebiets, das unvermeidlich den großen Überblick verloren hat, können Selbstverständlichkeiten zu totalen Überraschungen werden. So etwas erleben nun die Ökonomen mit dem Buch "Die Ökonomie von Gut und Böse".

Die Kritiken waren so berauschend, dass sie zahlreich auf den Einband der frischen deutschen Ausgabe gedruckt wurden, der prominente Schriftsteller und ehemalige Staatspräsident Václav Havel hat zur tschechischen Originalausgabe des Werks ein Vorwort geschrieben. Welche verblüffende Erkenntnis, welchen neuen und zu diskutierenden Zugang hat der Ökonom Tomáš Sedlácek gefunden?

Er wirft einen Blick in die jüngere Menschheitsgeschichte und sagt, Ökonomie ist mehr als Mathematik, Ökonomie braucht Moral und Philosophie. Und die Ökonomen scheinen erstaunt zu sein. Laien haben vermutlich nie etwas anderes gedacht. Der 1977 geborene Sedlácek beginnt seinen Geschichtstrip beim Gilgameschepos, hüpft zum Alten Testament, ins antike Griechenland, landet zwischendurch bei Thomas von Aquin und hangelt sich dann über Descartes und einige andere bis hin zu Adam Smith. Wobei das nur ein grober Faden ist, der Autor zerrt Zitate aus allen Epochen dorthin, wo sie ihm nützlich erscheinen. Da springt er schon mal im Zickzack von den alten Hebräern direkt zu den jüdischen Geldverleihern im Mittelalter, von dort in die Gegenwart und zurück zu den Hebräern, ohne den historischen Fluss oder den genauen Zusammenhang zu erläutern.

Entlang seines gewundenen historischen Fadens versucht er die unterschiedlichen Philosophien der Ökonomie darzustellen und ihren bis in die Gegenwart reichenden Einfluss zu formulieren. Bis er sie gegen Ende des Buchs alle an einer Achse ausrichtet, und zwar danach, "wie sehr Gutheit sich ihrer Ansicht nach auszahlt".

Sedlácek verwendet sowohl geschichtliche Fakten als auch historische Mythen. Das mag interessant sein, aber Mythen lassen immer viel Raum für Interpretation. Eine saubere Trennung zwischen ihnen und historischen Tatsachen nimmt er nicht vor. In schlechteren Momenten erinnert das an Erich von Däniken, der in der Vergangenheit eben auch immer das findet, was er gerade sucht. Und Sedlácek behandelt die Geschichten nicht wie Mythen, sondern so, als ob die Gesellschaften tatsächlich genau so funktioniert hätten. Bei jüdischen oder christlichen Regeln und Werten nimmt er nie darauf Bezug, wie sehr sich die jeweilige Gesellschaft tatsächlich daran gehalten hat. Wer wie Sedlácek ohne System durch die Historie springt, kann jede These belegen oder widerlegen, es finden sich Beispiele und Parallelen für wirklich alles.

Zugegeben: Auch der willkürliche Blick in die Geschichte bringt interessante Anekdoten. Wie die von dem niederländischen Arzt und Dichter Bernard Mandeville (1670 – 1733), der das wirtschaftliche Wohl einer Gemeinschaft auf deren Laster zurückführt; in Versform, mit scharfem Blick und scharfer Sprache. Und es ist ja auch ganz nützlich zu erfahren, was im Gilgameschepos steht, ohne es selbst lesen zu müssen.

So ist das Buch eine Gelegenheit, ein wenig Geschichte zu lernen und den Vorrat an brauchbaren Zitaten aufzufüllen. Tomáš Sedlácek beschränkt sich auf jenen Teil der Menschheitsgeschichte, aus dem es schriftliche Hinterlassenschaften gibt. Für die Biologie des Menschen interessiert er sich kaum. Das ist natürlich legitim, aber: Über "Animal Spirits" zu schreiben und dabei nicht an die Biologie zu denken, ist zu kurz gedacht.

Doch nachdem der Autor in einem Absatz schon das Überleben des Passendsten als Tautologie enttarnt zu haben glaubt, erwartet er aus der Biologie wohl keine Antworten. Selbst wenn er über die Natur schreibt und die Natürlichkeit oder Unnatürlichkeit des Menschen, redet er wieder über Adam und Eva.

Persönliche Anmerkung: Besonders problematisch fand ich, dass der Autor zwar die gesamte Wissenschaft und all ihre Grundlagen in Zweifel zieht (was durchaus wünschenswert ist), aber gleichzeitig Gott als unzweifelhaften Faktor stehen lässt. Dass er zahlreiche Wissenschaftszweige zerlegt, aber religiöse Mythen nicht auf ihren Kern oder ihren Bezug zum echten gesellschaftlichen Leben der jeweiligen Zeit hin diskutiert, verleiht dem Buch eine seltsame Schieflage.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 4/2013

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