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Neutrinos – schwer zu fassen

In seinem Buch "Die perfekte Welle – mit Neutrinos an die Grenzen von Raum und Zeit" führt Heinrich Päs scheinbar leichtfüßig in das Standardmodell der Teilchenphysik ein. Er nimmt den Leser mit auf eine Entdeckungsreise. Beginnend bei der theoretischen Vorhersage des Neutrinos durch Wolfgang Pauli behandelt er die Rolle dieses Teilchens in der Entwicklung des Standardmodells sowie der weiterführenden Theorie der Supersymmetrie und geht schließlich auch auf die Stringtheorie ein. Dabei fehlen auch nicht die verschiedenen experimentellen Ansätze, das Neutrino nachzuweisen und seine Natur genauer zu erforschen.

Ein sehr aktuelles Thema im Zuge der aufsehenerregenden Messungen von angeblich überlichtschnellen Neutrinos auf dem Weg vom CERN zum Gran-Sasso-Massiv vor wenigen Monaten, die sich inzwischen als fehlerhaft herausgestellt haben, vor allem aber auch im Licht der möglichen Entdeckung des Higgs-Bosons Anfang Juli.

Die Entwicklung physikalischer Theorien wie der Quantentheorie und dem daraus resultierenden Standardmodell war (und ist) zum einen unweigerlich verquickt mit bereits in den Köpfen vorhandenen Gedankenmodellen. Zum anderen stehen hinter derartigen Fortschritten (meist einzelne) herausragende Forscherpersönlichkeiten, die nicht anders können, als ebendiese Verquickung ans Licht zu tragen. Diesen Hintergrund zu beleuchten, ist auch Päs ein Anliegen. Doch gelingt es ihm auch?

Ein Einstieg über das philosophische Gedankengut der griechischen Antike wie es besonders das Denken Heisenbergs und von Weizsäckers geprägt hat, liegt bei diesem Thema durchaus auf der Hand. Allerdings reißt Päs viele dieser Grundgedanken nur äußerst oberflächlich an. Wesentlich an dieser Stelle sind ohne Frage die platonischen Ideen der Einheit und Komplementarität allen Seins sowie fundamentaler Symmetrien der Naturgesetze. Jedoch misst der Autor anfangs auch erstaunlich viel Gewicht dem eleusinischen Kult bei, zu dessen Ausübung vermutlich psychedelisch wirksame Drogen, vergleichbar mit den heute bekannten "Magic Mushrooms", konsumiert wurden.

Hier die Brücke zu schlagen zu der "wahrscheinlich verrücktesten Theorie, die es je gab – die Quantentheorie" erscheint mir doch ein wenig weit hergeholt. Und auch, Einsteins Ausspruch "Gott würfelt nicht" als Antwort auf Heraklits Fragment "Die Weltzeit ist ein spielendes Kind, eines Kindes ist das Königtum" zu verstehen, erschließt sich dem Leser nicht ohne Weiteres.

Die im weiteren Verlauf des Buchs zahlreich eingestreuten Anekdoten über Physikerpersönlichkeiten verleihen dem Thema einerseits eine gewisse Würze. Jedoch sind sie häufig nur kurz angerissen. So baut der Autor andererseits eine Distanz zwischen sich und dem Leser auf, anstatt diesen mitzunehmen, indem er sein Wissen nur als Insider vermittelt. Einige der Geschichten wirken in ihrer Knappheit gar etwas unglaubwürdig.

Die Darstellung der Physik leidet insgesamt unter dem allzu plakativen und erzählenden Stiel. Auch fallen hier und da plötzlich neue Fachbegriffe vom Himmel, die oft erst Seiten später erklärt werden. Dies erleichtert das Verständnis der nicht trivialen Materie für den interessierten Laien keineswegs. Und dem physikalisch vorgebildeten Leser bleibt die Physik zu lückenhaft, um entweder altes Wissen aufzufrischen oder neues fundiert zu erfahren. Insgesamt finde ich das Buch nur bedingt lesenswert.

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  • Quellen
Sterne und Weltraum 09/2012

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