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Die Evolutionstheorie als spannender Krimi

Bei dem Namen Richard Dawkins und dem Titel "Die Schöpfungslüge " erwartet man – wieder einmal – ein hitziges Pamphlet gegen Gott, Religion und Kirche. Weit gefehlt: Bereits im ersten Kapitel betont der britische Evolutionsbiologe und vielfache Buchautor, dass sich sein neues Werk keinesfalls gegen Religion und Glaube richte – zumal er ein solches bereits geschrieben habe ("Der Gotteswahn", Spektrum der Wissenschaft 11/2007, S. 118). Im Interesse der Sache hat er sich sogar zum Schulterschluss mit dem Klerus durchgerungen: Gemeinsam mit Richard Harries, dem Bischof von Oxford, verfasste er 2002 einen Brief an Premierminister Tony Blair, in dem beide für einen wissenschaftlich korrekten Schulunterricht zur Evolution eintreten. Bei diesem Thema gehe es nicht um Glaubensinhalte, sondern um wissenschaftliche Fakten. Und auf sie will sich der Autor diesmal beschränken.

Dakwins scheint ruhiger geworden zu sein. Dennoch kann er sich die eine oder andere Spitze nicht verkneifen, zum Beispiel gegen den islamischen Kreationisten Harun Yahya und andere betonköpfige Evolutionsleugner, die selbst im Angesicht einer Fülle von Fossilien stur behaupten, es gebe keine Bindeglieder zwischen den Arten und die Evolution sei daher eine unbewiesene und unhaltbar falsche Theorie. Wer mag es einem derart glühenden Streiter für sein Fach verdenken?

Der Frage nach den fehlenden Bindegliedern widmet Dawkins denn auch ein ganzes Kapitel. Schritt für Schritt belegt er, was uns die fossilen Überreste von Lebewesen, die vor Millionen von Jahren auf unserem Planeten ihr Dasein fristeten, über die Entstehung von Tieren und Pflanzen erzählen und weshalb das schichtweise Auftreten bestimmter Vertreter ein klarer Beweis für die Evolution ist. Die Entstehung unserer eigenen Spezies behandelt er im Anschluss in einem gesonderten Kapitel.

Doch bevor sich Dawkins mit versteinerten Beweisen auseinandersetzt, legt er seinen Lesern zunächst dar, dass sich die Entwicklung von Arten auch direkt vor unseren Augen abspielt, nämlich bei der gezielten Kreuzung von Nutzpflanzen und -tieren. Brokkoli, Blumenkohl, Milchkühe und die vielfältigen Hunderassen sind das Ergebnis von Evolution, forciert durch Züchterhand. Faszinierend sind die Beobachtungen des russischen Genetikers Dmitri Beljajew, der in den 1950er Jahren für einen Zuchtversuch ausschließlich besonders zahme Silberfüchse auswählte. Bereits nach sechs Generationen erhielt er "domestizierte" Tiere, nach 20 verfügten die Füchse nicht nur über einen zahmen Charakter, sondern ähnelten mit schwarz-weiß geschecktem Fell und Schlappohren auch äußerlich eher Hunden denn Silberfüchsen.

Selbst in freier Natur können wir unter bestimmten Bedingungen rapide Veränderungen beobachten, zum Beispiel wenn eine Art – verursacht durch Menschenhand oder durch Umweltveränderungen – von ihrem angestammten Lebensraum in einen neuen übersiedelt. So geschehen auf der kroatischen Insel Pod Mrčaru, auf der Wissenschaftler 1971 eine Eidechsenart ansiedelten, die ursprünglich auf der Nachbarinsel Pod Kopište heimisch war. Als eine andere Forschergruppe im Jahr 2008 diesen Tieren nachspürte, stellten sie fest, dass sich die Reptilien massiv verändert hatten – im Aussehen, im Verhalten und bei ihrer Ernährung, die sie von Insekten auf vorwiegend pflanzliche Nahrung umgestellt hatten. Wem derartig offensichtliche Belege für eine fortschreitende und vom Selektionsdruck gesteuerte Entwicklung nicht reichen, der darf sich in den weiteren Kapiteln über eine Beweisführung per Molekular- und Entwicklungsbiologie freuen.

Dawkins argumentiert von Anfang bis Ende seines Buchs leicht verständlich, geistreich, ja brillant. Dabei schreibt er mit einer Leidenschaft und so persönlich, dass sich das durch und durch wissenschaftliche Buch so spannend liest wie ein Krimi.

Hartgesottene Kreationisten wird wohl auch dieses Meisterstück nicht überzeugen. Alle anderen dürfen sich auf eine spannende und farbenfrohe Expedition durch die Entstehungsgeschichte unserer Spezies und aller anderen Lebewesen der Erde freuen. Der englische Titel des Buchs "The Greatest Show on Earth" ("Die tollste Show der Welt") wird Dawkins’ jüngstem Werk viel gerechter als die reißerische deutsche Version – und hätte bestimmt nicht weniger Leser angezogen.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 6/2011

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