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Aristarch von Samos erleben

Die Zeitspanne ist das dritte vorchristliche Jahrhundert, das von Alexander dem Großen in Unterägypten im Delta- Bereich des Nils um 330 v. Chr. gegründete Alexandria ist der Schauplatz der Handlung dieses Romans. Es ist die Regierungszeit des Königs Ptolemaios I. und dessen Nachfolgers und Sohnes Ptolemaios II. Es ist aber vor allem auch eine Zeit, in der Kultur und Wissenschaft im östlichen Mittelmeerraum eine Hochblüte erlebten.

Heimat und zentrale Einrichtung dafür war das Museion, an dem die hervorragendsten Künstler und Wissenschaftler unter der Ägide der Könige optimale Lebens- und Arbeitsbedingungen vorfanden. Zudem stand im Bereich des Museions die weltweit umfangreichste Bibliothek kurz vor der Fertigstellung und Eröffnung.

Aristarch, auf der ägäischen Insel Samos geboren und aufgewachsen, folgt im Jahr 289 der Einladung seines Lehrers Straton, der seit mehreren Jahren im Museion Physik lehrt, zu Studien nach Alexandria. Der Hofastronom Timocharis von Kos wird sein Astronomielehrer. Aristarch "darf" Hilfsdienste bei nächtlichen Positionsmessungen an hellen Sternen leisten. Sein wichtigster Beitrag ist in dieser Zeit vielleicht die Entwicklung einer verbesserten Sonnenuhr.

Eine unglückliche Liebesgeschichte veranlasst Aristarch letztlich, sich einer Expedition nilaufwärts bis Syene (dem heutigen Assuan) anzuschließen, wo er zeitgleich mit Timocharis in Alexandria Messungen des Sonnenschattens durchführte – zum Zwecke der Berechnung des Erdumfangs.

Auf dieser Reise begegnet Aristarch erstmals der ursprünglichen ägyptischen Kultur und erlebt religiöse Riten, die im "hellenistisch" geprägten Alexandria nicht mehr spürbar sind (insbesondere wird er Zeuge zeremonieller Einbalsamierungen).

Während der ersten Jahre im Museion dominiert die aristotelische Physik und Philosophie den Lehrstoff erheblich, was sicher auf das sehr unterkühlte Verhältnis Aristarchs zu seinem (neidvollen?) Lehrer Timocharis zurückzuführen ist.

Es sind schließlich die vom Autor erfundenen – also historisch nicht belegten – Begegnungen mit Euklid und Archimedes, von deren Ideen Aristarch zu neuen Ansätzen in der Weltschau inspiriert wird und die sein weiteres Leben bestimmen: Mit Hilfe einer genialen – im Grunde einfachen – geometrischen Methode, nämlich einer Winkelmessung zwischen Sonne und Viertelmond, schließt er auf das wahre Verhältnis der Entfernungen von Mond und Sonne, und folgert daraus, dass die Sonne viel größer sein muss als die Erde. Die Umstände bei Sonnenfinsternissen führen schließlich auch zu Abschätzungen des wahren Verhältnisses der Durchmesser von Sonne und Mond.

Die immer komplizierter und zahlreicher werdenden notwendigen konzentrischen Sphärenkonstruktionen zur Erklärung der Bewegungen der Planeten, des Mondes und der Sonne brachten Aristarch auf die einfache Lösung, ein heliozentrisches Weltbild anzunehmen. Die Folge: Kleanthes, eifriger Anhänger der Lehre von Aristoteles, klagt Aristarch der Gottlosigkeit an. Aus dem historisch nicht belegten Prozess geht der Angeklagte halbwegs unbeschadet hervor: Er muss sich verpflichten, seine Ansichten nicht weiter zu verfolgen. Parallelen zum Inquisitionsprozess gegen Galilei liegen hier nahe! Die Handlung schließt mit diesem Prozess, der auch Höhepunkt des Romans ist.

Romanautoren wollen ihre Leser einerseits unterhalten, andererseits – sofern es sich um historische Stoffe handelt – auch belehren. Im Leben Aristarchs liegt vieles im Dunkeln, selbst die Daten seiner Geburt sind nicht sicher überliefert. So gibt es unter anderem keine schriftlichen Hinweise seiner Postulierung eines heliozentrischen Systems. Nur indirekt bei Archimedes oder in der Anklage des Philosophen Kleanthes wegen Gottlosigkeit wird seine revolutionäre Ansicht des Kosmos mitgeteilt.

Die einzige erhaltene Arbeit von Aristarch "Über die Größe und Entfernungen der Sonne und des Mondes" ist auf verschlungenen Wegen erst spät nach Europa gelangt und 1488 nach Christus ins Lateinische, noch später, im Jahr 1844, ins Deutsche übersetzt worden. Es ist nur schwer vorstellbar, dass Kopernikus und Kepler – mehr als eineinhalb Jahrtausende später – davon Kenntnis haben konnten.

Zu Recht gelten deshalb bei modernen Historikern Plato, der im vorgerückten Alter ein heliozentrisches Weltsystem für wahrscheinlich hielt, wie Aristarch etwa ein halbes Jahrhundert danach, als die wirklichen Vorläufer von Kopernikus und Kepler.

Dem Autor dieses Romans blieben nur wenige verlässliche historische Quellen, aber er unterstützt den Leser dankenswerterweise darin, Fiktion und Historie auseinanderzuhalten, und zwar durch eine Liste der historisch belegten und der erfundenen Personen. Nicht zuletzt klärt das Nachwort über "Schein und Wirklichkeit" auf. Vielleicht ist dem eigentlichen Thema, nämlich der Sonne im Zentrum, zu wenig Raum gewidmet, es nimmt etwa das letzte Drittel des Buchs ein.

In der Summe ist Thomas Bührke ein lesenswertes, kurzweiliges und auf alle Fälle empfehlenswertes Buch gelungen, vielleicht nicht unbedingt für Leute, welche die historisch-anspruchsvolle Messlatte zu hoch legen. Aber dieser Anspruch war vom Autor – einem promovierten Astronomen – auch sicher nicht beabsichtigt.

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  • Quellen
Sterne und Weltraum 06/2009

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