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Dolly. Der Aufbruch ins biotechnische Zeitalter

Als vor einigen Jahren Wissenschaftler des staatlichen Roslin-Forschungsinstituts bei Edinburgh das "Klonschaf" Dolly vorstellten, erregte dies großes Aufsehen über die Fachwelt hinaus (siehe Spektrum der Wissenschaft 4/1999, S. 34). Viel mehr als der Name des Tieres dürfte aber den wenigsten von uns im Gedächtnis geblieben sein. Obwohl das Thema Embryonenforschung derzeit in der öffentlichen Diskussion steht und die Biotechnologie einmütig als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts erachtet wird, fehlt sowohl Bürgern als auch Entscheidungsträgern einiges an biologischem Grundlagenwissen.Diesem Zustand wenigstens teilweise abzuhelfen ist ein ehrgeiziges Ziel. Der englische Zoologe und renommierte Wissenschaftsautor Colin Tudge hat die Herausforderung angenommen, mit den "Vätern" von Dolly, Ian Wilmut und Keith Campbell – und dem Trio ist ein lesenswertes Buch gelungen.Dolly – das erfahren wir gleich zu Anfang – war weder das einzige noch das erste geklonte Schaf, aber sie war das erste Säugetier, das nicht aus einer embryonalen, sondern einer bereits differenzierten Körperzelle geklont wurde. Auf welchen (Um-)Wegen die Autoren das erreichten, ist eine sehr persönlich und dennoch sachlich geschriebene, fesselnde Wissenschafts-Story.Die verzweigte Vorgeschichte der Dolly-Arbeit führt einige Jahrzehnte zurück, denn die Kerntransplantation – Grundtechnik des Klonierens – ist mitnichten eine Idee des Gentechnik-Zeitalters: Schon 1938 schwebte dem durch seine Versuche zur Embryonalentwicklung von Amphibien bekannten Hans Spemann dieses "fantastische Experiment" vor, für das er damals noch nicht die technischen Möglichkeiten hatte. 1951 wurden Frösche auf diese Weise geklont, 1985 das erste Säugetier.Wieso gerade das Schaf Dolly dann als so großer Erfolg gefeiert wurde, wird erst im Kontext des Forschungsprojektes verständlich: Man wollte nicht einfach Tiere vervielfältigen – es ging darum, Genmanipulation an Nutztieren praktikabel zu machen, um das "Pharming" voranzubringen, die Erzeugung pharmazeutisch wirksamer Substanzen zum Beispiel aus der Milch genmanipulierter Nutztiere (siehe Spektrum der Wissenschaft 3/1997, S. 70).Transgene Tiere hatte man bisher durch Gentransfer auf die noch völlig undifferenzierten Zellen ganz junger Embryonen erzeugt. Diese Methode hatte den Nachteil langer Wartezeiten und eines hohen Verbrauchs an Individuen: Frühestens am Jungtier, das sich – selten genug – aus dem genmanipulierten Embryo entwickelt hatte, stellte sich heraus, ob das betreffende Gen überhaupt übertragen worden war und wie geplant funktionierte. In einer Zellkultur hingegen lässt sich eine Genmanipulation gut kontrollieren, und man kann anschließend gezielt die erfolgreich modifizierten Zellen weiterverwenden. Aus ihren Nachkommen könnten nun theoretisch lauter neue, gentechnisch veränderte Individuen entstehen, wenn Zellen in Kultur sich nicht fast immer differenzieren und damit ihre Fähigkeit verlieren würden, zu einem kompletten Organismus mit all seinen verschiedenen Geweben heranzuwachsen (siehe Wilmuts Artikel in Spektrum der Wissenschaft 4/1999, S. 34).In diesem Dilemma hatte Campbell die Idee, gezielt solche kultivierten Zellen zu klonieren, die sich gerade in der "G0"-Phase des Zellzyklus, einer Art Ruhezustand, befinden. Unter bestimmten Umständen ist aus diesem Stadium heraus offenbar eine vollständige Embryonalentwicklung aus einer bereits differenzierten Zelle möglich. Genau dieses Vorgehen führte zu Dolly. Die verwendete Zellkultur war aus Brustdrüsengewebe eines Mutterschafs angelegt worden.Um diese Geschichte zu erzählen, nehmen die Autoren den Leser mit auf breit angelegte Exkurse in die Biologie der Zelle und der Fortpflanzung. Eine ganze Palette von Themen wird – leider fast ohne Illustrationen – auf aktuellem Wissensstand behandelt; auch der nicht einschlägig vorgebildete Leser ist angesprochen, denn Chromosomen- und Genstruktur, Mechanismen der Zellteilung oder Vorgänge der Embryonalentwicklung werden von Grund auf erklärt. Zur Auflockerung gibt es immer wieder Einblicke in den Forscher-Alltag, von den handfesten Aspekten der Arbeit mit Schafen bis hin zu den Mühen und Tücken der Forschungsfinanzierung.Dem Reizthema "Menschen klonen" ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Autoren reklamieren nicht das Recht, "dem Rest der Menschheit vorzuschreiben, was er mit der Methode anzufangen hat", beziehen aber eindeutig Stellung gegen das Klonen als Fortpflanzungsmethode, vor allem weil unvermeidlich das Wohl des Kindes – auch das seelische – auf der Strecke bleiben würde. An der prinzipiellen Machbarkeit besteht kein Zweifel, aber hinsichtlich des Aufwandes lohnt sich ein Blick auf die Ausmaße des Dolly-Experiments: Über vierhundert Eizellen, von hormonell stimulierten Schafen entnommen, wurden manuell entkernt und mit den neuen "Spenderkernen" versehen. 277 so entstandene Embryonen wurden in vorläufige Leihmütter eingesetzt (die sicherste Möglichkeit, sie zur Weiterentwicklung anzuregen). Nur 29 Embryonen wurden etwa eine Woche später im erwarteten Entwicklungsstadium vorgefunden und in insgesamt 13 endgültige Leihmütter verpflanzt, und am Ende wurde ein einziges gesundes Lamm geboren – Dolly. Enormer Arbeitsaufwand, hoher Verbrauch an Eizellen und eine geringe Erfolgsquote sind in diesem Geschäft nichts Ungewöhnliches. Um Menschen zu klonen, würde man allerdings menschliche Eizellenspenderinnen und Leihmütter brauchen.Das therapeutische Klonen von Körpergewebe sehen die Autoren dagegen sehr positiv, obwohl diese Technik menschliche Embryonen verbraucht; sie stützen sich lapidar auf das – nicht näher begründete – Argument, dass ein menschlicher Embryo "bis zum Alter von 14 Tagen … noch nicht den Status der Personalität erworben" habe. Hier ist ihre Argumentation erkennbar stark von ihren eigenen Forscher-Interessen geprägt.Darüber hinaus findet sich in dem Buch eine Fülle von Fakten und Diskussionsgrundlagen. Wilmut und Campbell gehen undogmatisch auf wünschbare und weniger wünschbare Entwicklungen ein und auf die Rolle der Politik und der Wirtschaft, und sie ermutigen ausdrücklich zur gesellschaftlichen Willensbildung. Das macht das Buch sehr sympathisch.Sein einziger echter Schwachpunkt ist der Mangel (sogar im Glossar) an begrifflicher Genauigkeit, was nicht allein auf das Konto des Übersetzers gehen dürfte. So werden zum Beispiel die Begriffe Oozyte, Eizelle und Keimzelle nicht immer ihrer Definition (zumindest im Deutschen) entsprechend gebraucht; Base und Nukleotid werden gleichgesetzt; zwei halbe Chromosomensätze vereinigen sich schon mal zu einem doppelten. Metaphasechromosomen als "diploid" zu bezeichnen ist nur unkonventionell; mit den sonderbaren Pluralbildungen "Kodonen" und "Histonen" könnte man leben, aber "zweite Meiose" statt "zweite Reifeteilung" oder "Meiose II" ist einfach falsch. Wer sich also in Verwirrung gestürzt sieht, verzweifle nicht gleich an sich selbst, sondern nehme ein einschlägiges Biologie-Lexikon zur Hand.Abgesehen davon ist "Dolly" jedoch eine Fundgrube, in der es in jeder Hinsicht viel zu lernen und zu entdecken gibt und die zur eigenen Meinungsbildung regelrecht animiert.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 06/01

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