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Die unendliche Geschichte der Unendlichkeit

Die Unendlichkeit fasziniert den Menschen seit jeher: Philosophen, Mathematiker und Theologen versuchen seit der Antike immer wieder das Unbegreifliche zu definieren – vergebens. Die Schwierigkeit des Begriffs liegt offenbar in seiner Unerschöpflichkeit, die niemals in der Gesamtheit gedacht werden kann. Leider schafft der Autor Paollo Zellini es in seinem Buch "Eine kurze Geschichte der Unendlichkeit" nicht, das Thema allgemein verständlich zu erklären.

Dabei behandelt er so interessante Fragen wie die Quadratur des Kreises: Ein Quadrat mit dem Flächeninhalt eines vorgegebenen Kreises könnte theoretisch auf folgende Weise ermittelt werden: Man zeichnet in den Kreis ein regelmäßiges Vieleck mit einer beliebig großen Anzahl von Seiten. Erhöht man dann die Anzahl der Seiten des Vielecks, nähert sich die Länge einer Seite immer stärker dem zugehörigen Kreisbogen an, während die Fläche zwischen dem Vieleck und dem Kreis zusehends schrumpft. Das kann bis zu einer beliebig kleinen Fläche fortgesetzt werden – bis das Vieleck am Ende mit dem Kreis zusammenfällt und seine Seiten mit den kleinsten Kreisbögen identisch sind. Da es demnach ein Vieleck gäbe, das sich nicht von einem Kreisumfang unterscheidet und da zu einem regelmäßigen Vieleck mit beliebiger Seitenzahl ein flächengleiches Quadrat konstruierbar sei, sollte die Quadratur des Kreises denkbar sein. Ist das tatsächlich so?

Nicht möglich, meinte Aristoteles bereits vor über 2300 Jahren: Die Menge der in dem Kreis befindlichen Vielecke ist unbegrenzt in dem Sinn, dass zu jedem Vieleck mit einer beliebig großen Anzahl an Seiten ein weiteres mit noch mehr und noch kleineren Seiten existiert. Und auch dieses fällt noch nicht mit dem Kreis zusammen, sondern ermöglicht die Konstruktion eines weiteren Vielecks. Nach Ansicht Aristoteles ist das Unendliche etwas, jenseits dessen es immer etwas Weiteres gibt.

Paollo Zellini versucht den Leser in seinem Buch auf eine Reise in die Welt der Unendlichkeit zu führen – oder vielmehr in die Suche danach. Sie beginnt bei der Philosophie der griechischen Antike und führt über mittelalterliche Theologie zur neuzeitlichen Mathematik und Physik. Der Buchautor erklärt nicht nur die Gedanken von Aristoteles, sondern lässt auch Thomas von Aquin, Nikolaus von Kues und Giordano Bruno zu Wort kommen und beleuchtet die Abhandlungen von Descartes, Leibniz und Theodor Adorno ebenso wie die Ausführungen großer Mathematiker wie Cantor und Gödel. Der Mathematiker agiert nicht nur im eigenen Fach sattelfest, sondern auch in der Philosophie und leistet mit Hilfe der großen Denker Definitionsarbeit. Er listet die Annäherungsversuche ans Unendliche nicht nur auf, sondern vergleicht sie miteinander. Und der Leser kann nach jedem der etwa 20 Seiten starken Kapitel abwägen, ob ein Konzept schlüssiger als das andere ist.

Bereits 1980 schrieb Zellini dieses Buch, für das er in seiner Heimat mit dem "Premio Viareggio" ausgezeichnet wurde und das in Italien zahlreiche Auflagen erlebte. Es wurde ins Englische, Türkische, Spanische und jetzt endlich – knapp 30 Jahre nach seinem Erscheinen – ins Deutsche übersetzt. Zwar avancierte es mittlerweile zu einem Klassiker, doch jemand, der nicht weiß, was Inkommensurabilität ist oder noch nie etwas vom Reduzibilitätsaxiom und Epsilon-Delta-Kriterium von Weierstraß gehört hat, sollte lieber die Finger von dem Werk lassen. Denn der Reiz des Themas verliert sich schnell zwischen Fachtermini, Formeln und Querverweisen, die Zellini so leicht in Bandwurmsätze einflechtet, als verstünden sie sich von selbst. Bedauerlich ist auch, dass dem Buch sowohl ein Literatur- als auch ein Stichwortverzeichnis fehlt.

Fachleute, die sich in die Welt der Geschichte der Unendlichkeit mitnehmen lassen möchten, werden das Buch sicher mit Gewinn lesen. Doch allen anderen bleibt der Unterschied zwischen kategorematischer und synkategorematischer Unendlichkeit wahrscheinlich ein Geheimnis.

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