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Buchkritik zu »Essen auf Rezept«

Es gibt wohl nur wenige Bücher über Essen und Nahrung allgemein, die so wenig Esslust wecken. Marcus Brian hat sich eines unübersichtlichen und manchmal unappetitlichen Themas angenommen – hoffen wir, dass er nicht alles, was er beschreibt, auch am eigenen Leibe ausprobiert hat. Ohne jeden wissenschaftlichen Dünkel resümiert er eine schier unglaubliche Vielzahl von Informationen zum Thema. Nebenbei liefert er eine umfassende und kritische Markterhebung, die jedoch wahrscheinlich schnell an Aktualität verlieren wird. Seine größte Leistung besteht in einer im Verlauf des Buchs immer klarer werdenden Entzauberung des vorgeblichen Gütesiegels "Functional Food", das Lebensmittel mit Zusatznutzen deklarieren soll. Darunter Joghurts mit speziellen Kulturen, bestimmte "gute" Fettsäuren, Wellness- und Energydrinks und natürlich mit allen möglichen Vitaminen, Ballast- und Pflanzenstoffen angereicherte Nahrung. Verständlich und anschaulich führt das Buch durch das Dickicht von Werbung, Produkten und Versprechungen. Brian, der – wie uns der Klappentext verrät – von seinen Kollegen vom Magazin Öko-Test wegen seiner Kochkünste hoch geschätzt wird, nahm die Versprechungen der Hersteller unter die Lupe, untersuchte, was man von den neuen Produkten wirklich erwarten kann, und beschreibt deren Risiken und Nebenwirkungen. Nahrungsmittelproduzenten versprechen uns als Effekte solch funktioneller Kost Schutz vor Herzinfarkt oder Krebs, ein wachsames Immunsystem und verbesserten Geschmack. Die Rechtslage bei uns ist diffus, anders als beispielsweise in Japan, weil eindeutige Abgrenzungen fehlen, denn solche Produkte nehmen in der Regel eine Position im gesetzlichen Niemandsland zwischen Lebens- und Arzneimittel ein. Ein Nahrungsmittel ist demnach dann als funktionell anzusehen, wenn es über seinen Nährwert hinaus eine oder mehrere Körperfunktionen positiv beeinflusst. Das darf jedoch nicht als Verkaufsargument herangezogen werden, da es ansonsten unter das Arzneimittelgesetz fallen und nur nach einem aufwändigen Zulassungsverfahren auf den Markt gelangen würde. Brian lässt seine Leser nicht lange im Unklaren, welche Meinung er gegenüber der "funktionellen" Kost vertritt. Bei den Nahrungsmitteln mit eingebautem Mehrwert handele es sich um bloße Hirngespinste, von der Lebensmittel-Branche erdacht, um den Verbrauchern das Geld aus der Tasche zu ziehen: "Funktionelle Lebensmittel sind überall und nirgends." Ein Apfel sei durchaus funktionell und berge auch weit mehr als seinen reinen Nährwert. "Salzstangen und Cola sind … funktionell, wenn sie als Hausmittel gegen Durchfall verspeist werden. Ebenso … ein Kaffee, den man morgens gegen einen schlappen Kreislauf trinkt." Viele seiner Feststellungen belegt Brian anhand anschaulicher Beispielrechnungen, die deutlich entlarven, wie scharf die Produzenten mit ihren Werbeversprechen oftmals an den Legalitätsgrenzen entlangschrammen. Leider kann er dabei nur selten seine Häme unterdrücken und gerät dadurch in Gefahr, für unsachlich gehalten zu werden. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass er die allerwenigsten der zahlreichen ins Feld geführten Untersuchungen mit ergiebigen Quellenangaben versieht. Man mag ihm zugute halten, dass er keinen wissenschaftlichen Aufsatz schreiben wollte, doch würde die eine oder andere Fußnote seiner Glaubwürdigkeit nur nutzen und dem interessierten Leser die Möglichkeit eröffnen, sich selbst mit den wissenschaftlichen Daten auseinander zu setzen. Brian hat versucht, das nicht gerade unterhaltsame Thema sprachlich aufzupeppen, ist dabei aber weit übers Ziel hinausgeschossen. Seine vermeintlich scherzhaft-ironischen Kommentare gingen zumindest mir schon nach ein paar Seiten gehörig auf die Nerven, außerdem lenken sie von den Tatsachen ab und erwecken bald den Eindruck, dass hier Stimmung gemacht werden soll – kein guter Boden für eine kritische und differenzierte Auseinandersetzung. Das Buch will mit seinen augenzwinkernden Vorspännen zu jedem Kapitel und seiner ganzen Gestaltung einen romanartigen Eindruck erwecken, den Ratgeber zu einem Lesestück aufwerten, das er nun wirklich nicht ist und auch nicht sein sollte. Auch noch lästig: Einige Informationen werden wiederholt, teilweise mehrfach. Das mag vielleicht hilfreich sein für "Quereinsteiger", tut aber meines Erachtens bei einem 180-Seiten-Bändchen wirklich nicht Not. Wohl bekomm’ s.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 05/01

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