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"Die größte Show im Universum"

Die 101 wichtigsten Fragen der Evolution – dieses Buch verspricht sie zu beantworten. Doch gibt es denn überhaupt so viele explizit wichtige Fragen zu diesem Thema? Dass der Autor Thomas Junker, Professor für Geschichte der Biowissenschaften, genau auf eine solche ungerade Zahl kommt, hat wohl kaum etwas mit Zufall zu tun. Es gelingt ihm allerdings, alle relevanten Fragen zu stellen und die weniger wichtigen dennoch so erscheinen zu lassen.

Gleich im ersten Kapitel geht er auf ganz grundlegenden Aspekte ein: Was ist Evolution überhaupt? Welche Beweise gibt es für sie? Und wie wichtig sind in diesem Zusammenhang Fossilien? Zugegeben, hier in Deutschland sollten wir alle im Laufe unserer Schullaufbahn in den Genuss gekommen sein, Antworten auf diese Fragen im Biologieunterricht zu bekommen. Trotzdem schadet eine kurze Wiederholung sicher nicht, zumal das Wissen in geballter Form, ohne Schnörkel, vermittelt wird: "Evolution ist der Vorgang, durch den sich die Welt der Organismen seit dem Ursprung des Lebens allmählich gewandelt hat."

In einem einzigen Evolutionsvorgang hat sich bis heute eine schier unglaubliche Vielzahl von Arten gebildet, die letztlich alle gemeinsame Vorfahren haben. Auch der Mensch unterliegt diesem Prozess, doch obwohl allgegenwärtig, bleiben die Folgen für uns als Einzelnen meist unbemerkt. Greifbar wird die Evolution jedoch beim Anblick von Fossilien: Die versteinerten Überreste längst ausgestorbener Lebewesen liefern uns einen unmittelbaren Beweis für die Veränderungen der Arten.

Die Theorie der Evolution ist durch Darwins Lehren geprägt. Doch wussten Sie, dass Darwin selbst das Wort "Evolution" gar nicht verwendete? Das lag an der unterschiedlichen Bedeutung des Begriffs zu Darwins Lebzeiten: Als Evolution bezeichnete man damals die (Weiter-)Entwicklung einer bereits bestehenden Struktur. Zum Beispiel nahm man an, dass sich Embryos schon im Mutterleib vollständig entwickeln und anschließend nur noch wachsen. Das entsprach aber gerade nicht Darwins Ansätzen: Sein Modell beschrieb Generationen übergreifende Veränderungen zwischen verschiedenen Individuen. Deshalb sprach er selbst von der "Theorie der Abstammung mit Abänderung".

Solche Details gibt der Autor dem Leser mehrfach in dem historischen Abriss über die Entwicklung der Evolutionstheorie. Zwar beschreibt Junker Darwin als den "Star der Evolutionsbiologie", aber er vergisst auch nicht den Vorgängern Darwins Tribut zu zollen.

Der wohl erste Versuch, die Evolution zu erklären, findet sich in einem Werk von Georges Buffon (1707-1788). Tatsächlich überlegte der französische Naturforscher, ob nicht alle Tiere von einem einzigen abstammen könnten. Doch Buffon selbst war von diesem Gedanken nicht überzeugt, weshalb er im Hinblick auf die Evolutionslehre wohl in Vergessenheit geriet.

Erst 1809, im Geburtsjahr Darwins, veröffentlichte der Botaniker und Zoologe Jean-Baptiste de Lamarck (1744-1829) seine Theorie zur Entstehung und Entwicklung der Arten. Er war davon überzeugt, dass Lebewesen bestimmte, zweckmäßige Eigenschaften ausbilden können. So würden einem an Land lebenden Reptil beispielsweise Schwimmhäute wachsen, wenn es vermehrt ins Wasser ginge, um dort Nahrung zu suchen. Dieses einmal erlangte Merkmal würde dann an nachfolgende Generationen vererbt, wodurch sich neue Arten ausbilden.

Zwar schien Lamarcks Theorie auf den ersten Blick plausibel – doch einem zweiten hielt sie nicht stand. Der Forscher beachtete nämlich nicht, dass eine derart schnelle Entwicklung innerhalb einer Generation beobachtbar wäre.

So gibt Junker dem Leser ein schlüssiges Bild darüber, warum Wissenschaftler Darwins Theorie für richtig erachten. Zudem vervollständigt er die Theorie um die Aspekte, die Darwin noch nicht wusste: die Entstehung der Arten und die Vererbung auf molekularbiologischer Ebene.

Molekularbiologen können heute zeigen, dass sich vor 325 Millionen Jahren eine Echsenart irreversibel in zwei Arten aufspaltete: Es bildeten sich einerseits die Dinosaurier und die Vögel und andererseits die Säugetiere. So folgenschwer dieses Ereignis für uns heute erscheinen mag, so unscheinbar war es damals. Dass diverse kleine Mutationen letztlich zur Aufspaltung einer Art geführt haben, war zu dem Zeitpunkt nicht zu erkennen und auch nicht vorherzusagen.

Wie lange es dauert, bis eine neue Art entstanden ist, lässt sich nicht pauschal sagen. Zwei isolierte Populationen von Eidechsen auf Martinique spalteten sich innerhalb der letzten acht Millionen Jahre nicht in unterschiedliche Arten auf. Andererseits sind die 300 bis 500 verschiedenen Buntbarscharten im afrikanischen Victoriasee innerhalb von nur rund 100 000 Jahren aus einer einzigen Gründerpopulation entstanden. Allerdings können Biologen heute anhand der Mutationsrate der DNA den evolutionären Wandel einer Art bestimmen. Daraus ergeben sich für Säugetiere etwa 0,2 bis 2 Artenaufspaltungen in einer Million Jahre.

Thomas Junker spricht in seinem Buch auch gezielt die Frage nach einem Schöpfer an, der hinter der Evolution stehen soll. Hier kann es sich der Autor nicht verkneifen, den Leser an der Nase herumzuführen: Ja, Evolution und Schöpfung seien miteinander verbunden.

Dass man nach so vielen Fakten an diesem Punkt stutzt, ist sicherlich von Junker beabsichtigt. Doch wovon er spricht, wird dem Leser schnell klar: Nicht von Religion ist die Rede, sondern vielmehr von Philosophie. Seines Erachtens ist die Evolution selbst äußerst kreativ – man betrachte nur die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie Pflanzen ihre Samen verteilen: Fallschirme, Widerhaken, Explosionen stehen an der Tagesordnung. Einen Konstrukteur, der von außen die Entwicklung steuert, lehnt Junker aber deutlich ab. Die Kreationisten unter den Lesern dürften spätestens dann die Hoffnung auf einen Mitgläubigen verloren haben!

Nach diesem – amüsanten – Intermezzo stößt der Leser auf Kapitel, die vielleicht nicht ganz so wichtige Fragen zur Evolution beantworten, dafür aber umso interessanter sind. Wer schon immer wissen wollte, wie man Selbstmordattentate biologisch erklären kann und was die Erbschaftssteuer mit der Evolution zu tun hat, kann sich auf kurzweilige Erklärungen freuen.

Warum stürzen sich Lemminge beispielsweise reihenweise in den Tod? Diese Legende entstammt zwar tatsächlichen Beobachtungen bei jahreszeitlich bedingten Wanderungen der Tiere, doch der Sturz in den Tod ist eher durch eine Massenpanik zu erklären als durch Selbstmordgedanken.

Das Buch endet mit der spekulativen Frage, wie der Mensch in zwei Millionen Jahren aussehen wird. Hier gleitet Junker – leider – in sehr unrealistisches Terrain ab. Kommunikation über implantierte Handys, eine Internetverbindungen in der Großhirnrinde und eine automatische Übersetzungsfunktion im Sprachzentrum – mit diesen utopischen Gedanken zieht er sein Buch am Ende selbst etwas ins Lächerliche.

Davon abgesehen bleibt als Fazit: eine spannende Lektüre, die es schafft, gleichzeitig Wissen zu vermitteln und zu unterhalten. Die kurzen Kapitel lesen sich wie ein durchgängiger Text, eignen sich aber ebenso zum Querlesen. Eine Prise Sarkasmus beim Kreationismus und Intelligent Design geben dem Buch das Sahnehäubchen!

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