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Hochenergie-Astrophysik

Wir leben in wahrhaft goldenen Zeiten für die Hochenergie-Astrophysik. Diese nicht gerade neue Erkenntnis macht sich zunehmend auch am Büchermarkt bemerkbar. Diesmal kommt das Werk aus der Publikationsreihe "The Open University" von Cambridge University Press. Diese Reihe ist bekannt für ihre exzellente Bebilderung und auf aktuellem Niveau verständlich geschriebenem Text. Das Buch von Ulrich Kolb, selbst "Senior Lecturer" in Großbritannien, steht diesen Erwartungen in nichts nach.Kolbs Buch ist jedoch kein reines Werk über Hochenergie-Astrophysik an sich. Stattdessen geht es um jene Bereiche, welche den Massenzustrom von Materie auf ein kompaktes Objekt zum Inhalt haben (Weiße Zwerge, Neutronensterne, Schwarze Löcher). Die damit zusammenhängende "Accretion Power" via Akkretionsscheiben macht Akkretion astronomisch beobachtbar und bringt ihn ins Reich der Extreme: die heißeste Materie, die explosivsten Erscheinungen, die temporär leuchtkräftigsten Phänomene, die hochenergetischsten Prozesse, ultrarelativistische Jets und ähnliches.

Die Thematik des Buchs wird in acht Kapiteln abgehandelt. Die ersten fünf Kapitel stammen von Ulrich Kolb. Sie behandeln Aspekte der Theorie und Beobachtung der Akkretion auf kompakte Objekte. Der Autor stellt dabei die wichtigsten Grundelemente der Theorie heraus; der Leser wird jedoch keineswegs mit langen Abhandlungen beansprucht. Das dargestellte mathematische Niveau entspricht dem, was man von einem Studenten der Physik nach zwei Jahren Ausbildung erwarten kann. Konkret befasst sich Kapitel 1 mit der Akkretion als Energiequelle, Kapitel 2 ist den "accretion powered binaries" gewidmet. Es folgt in Kapitel 3 eine Einführung in die Theorie stationärer Akkretionsscheiben und in Kapitel 4 der Übergang zu zeitabhängigen Phänomenen (sprich Akkretionsscheiben im Ausbruch, Instabilitäten). In Kapitel 5 diskutiert der Autor schließlich Methoden, wie man seitens der Beobachtung ein Modell (ein "Image") vom Aufbau der akkretierenden Systeme erhalten kann.

Kapitel 6 mit dem Titel "High-energy radiation from relativistic accretors" stammt von Robin Barnard. Der Autor liefert zunächst einen Überblick über Röntgenastronomie und eine Erklärung der Strahlungsmechanismen im Röntgenband. Den Hauptteil bildet dann eine Vorstellung der beobachteten Variabilitäten der Röntgenquellen und was man daraus lernen kann (zum Beispiel im Hinblick auf beobachtete quasiperiodische Oszillationen). Der Autor schließt ab mit Darlegungen zu den Ultraluminous X-ray sources und vollzieht den Weg von Akkretionsscheiben in Röntgendoppelsternen zu ihren größeren Verwandten, jenen in aktiven galaktischen Kernen.

Die abschließenden beiden Kapitel stammen aus der Feder von Hara Papathanassiou. Sie behandeln relativistische Ausflüsse und die damit verbundenen Beobachtungsphänomene. Im Kapitel 7 geht es um die Erklärung, wie denn Akkretionsscheiben zu Quellen für hochenergetische Strahlung werden. Dazu werden zunächst wesentliche Grundlagen der relativistischen Physik erklärt und danach die damit verbundenen astronomischen Phänomene, wie das Auftreten scheinbarer Überlichtgeschwindigkeiten oder das so genannte Doppler boosting bei relativistischen Jets. Das letzte Kapitel widmet sich dann den Gammastrahlenausbrüchen, dem nach heutigem Ermessen wohl Extremsten, was die Natur zu bieten hat. Auch hier spielt die Akkretion von Materie die letztlich das beobachtete Erscheinungsbild treibende Rolle. Und auch in diesem Kapitel kommt der Leser mit Darlegungen zu den Grundideen des Gammastrahlenausbruch-Feuerball-Modells auf seine Kosten.

Wie man es aus allen Büchern dieser Buchreihe kennt, wird alle vorgestellte Theorie mit hochwertigen Abbildungen untermauert, die entweder aus der praktischen Beobachtung stammen oder die jeweils diskutierten Phänomene künstlerisch darstellen.

Diplomanden der Hochenergie-Astrophysik möchte ich dieses Buch sehr empfehlen. Bevor sich ein Anfänger durch seitenlange Abhandlungen in Original-Veröffentlichungen arbeitet, sollte dieses Buch zur Hand genommen werden. Danach dürfte der Leser alle Voraussetzungen für ein breites Eindringen in die Materie besitzen. Aber auch der erfahrene Doktorand bekommt hier ein exzellentes Nachschlagewerk zur Hand. Letztlich kann auch der etablierte Vorlesende von pädagogisch schön aufbereitetem Text samt zugehöriger brillanter Abbildungen profitieren. Kurz, dieses Buch sollte in keiner Fachbibliothek fehlen.

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  • Quellen
Sterne und Weltraum 1/2011

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