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Von den platonischen Körpern zu industriellen Spinnprozessen

Drei Jahre nach dem in Deutschland 2008 erfolgreich veranstalteten "Jahr der Mathematik" präsentiert dieses Buch das Spektrum des Fachs abermals in einer beeindruckenden Vielfalt. Die 22 kurzweiligen Beiträge sind ausschließlich von Frauen verfasst – was demonstriert, wie sich die Rolle von Mathematikerinnen im Hochschulbereich in den letzten 20 Jahren entwickelt hat. Die meisten Autorinnen sind Professorinnen und zwischen 30 und 50 Jahre alt. Jeder Beitrag stellt dem Publikum einen bewusst eingegrenzten Aspekt eines aktuellen Forschungsthemas in gut verständlicher Weise vor, so dass ein breiter Leserkreis angesprochen wird.

So machen Vicky Fasen von der ETH Zürich und Claudia Klüppelberg von der TU München in ihrem Beitrag "Modellieren und Quantifizieren von extremen Risiken" sehr anschaulich klar, wie schwer es ist, Vermeidungsstrategien für Naturkatastrophen, Finanz- oder Versicherungsproblematiken zu ent­wickeln, wenn vergleichsweise wenig Erfahrungswerte vorliegen (Spektrum der Wissenschaft 1/2010, S. 74). Anne Henke aus Oxford lässt die Lesergemeinde bei ihrem "Mathematischen Potpourri rund um das Einsteigen ins Flugzeug" den Stau in der Flugzeug­kabine durchleben, bis alle Passagiere ihre zugewiesenen Sitzplätze eingenommen haben, und präsentiert anschließend interessante Lösungsalgorithmen für optimale Einstiegszeiten.

Sigrid Knust aus Osnabrück bietet unter dem Titel "Diskret optimierte Pläne im Alltag" Lösungen für Probleme, die zum Beispiel beim Aufstellen von Stunden-, Schicht- oder Sport­ligaspiel-Plänen auftreten – so ausgearbeitet, dass der Leser sie vielleicht selbst verwenden kann. Angela Stevens aus Münster wird mit ihrer Diskussion über die schnellste Skateboardbahn im Beitrag "Angewandte Analysis" sicher jugendliche Mathematikinteressierte neugierig machen, ebenso Priska Jahnke von der FU Berlin mit Fragen der Datenverschlüsselung und -entschlüsselung, auch wenn der Titel "Kugeln, Kegelschnitte, und was gibt es noch?" zunächst gar nicht nach Kryptografie klingt. Offensichtlich haben die Herausgeberinnen auf eine gewisse Ausgewogenheit zwischen den Themengebieten Geometrie, Diskrete Mathematik, Analysis und Stochastik/Finanzmathematik geachtet. Im Übrigen streuen die Themen sehr breit, von elementaren bis zu sehr schwierigen Fragen, von klassischen zu aktuellen Problemen und vom Abstrakten bis zum Angewandten. Katrin Wendland aus Freiburg beginnt ihren Beitrag mit regulären Vielecken und den platonischen Körpern, um dann den Zusammenhang zwischen den verschiedensten Dreh- und Spiegelungsgruppen des Raums zu klären.

Gabriele Nebe aus Aachen steigt von der keplerschen Kugelpackung, deren Optimalität erst vor wenigen Jahren bewiesen wurde (Spektrum der Wissenschaft 4/1999, S. 10), auf zu Kugelpackungen in beliebig hohen Dimensio­nen und optimalen fehlerkorrigieren­den Kodes. Annette Werners Artikel "Ausflug in die p-adische Welt" sowie Annette Huber-Klawitters Beitrag "Vermutung von Birch und Swinnerton-­Dyer" greifen berühmte Primzahlprobleme auf (Spektrum der Wissenschaft 1/2009, S. 62). Karin Baur aus Graz führt unter dem Titel "Polygone, Cluster­algebren und Clusterkategorien" mathematische Objekte ein, die erst seit wenigen Jahren bearbeitet werden. Die "Diskreten Strukturen in Geometrie und Topologie" von Eva-Maria Feichtner aus Bremen sind sehr theoretischer Natur, die "Asymptoti­sche Modellierung industrieller Spinnprozesse" von Nicole Marheineke aus Erlangen sehr anwendungsbezogen. Alle Aufsätze haben ähnlichen Umfang, und allen Autorinnen gelingt es, dem Leserkreis ohne besondere Mathematikvorbildung das jeweilige Problem klar und verständlich darzustellen. Wenn es allerdings an dessen Lösung geht, treten erhebliche Unterschiede zu Tage. Einige Beiträge bieten eine durchgängig nachvollziehbare Einführung in das Themengebiet, andere fordern vom Leser tiefes Eintauchen in Details, insbesondere beim Erfassen von Beweisen und Formelherleitungen. Das ist zum Teil mehr, als der Laie leis­ten kann.

Es wäre hilfreich gewesen, die Beiträge nicht alphabetisch nach den Namen der Autorinnen, sondern nach Themen zu sortieren. Zudem ist es einerseits lobenswert, dass jeder Beitrag für sich allein lesbar sein soll und somit Symbole wie etwa n! ("n-Fakultät") jedes Mal im Text erklärt werden, andererseits sind auf diese Weise unnötige Doppelungen entstanden. Ein kurzer Anhang der wichtigsten verwendeten mathematischen Werkzeuge wäre effektiver gewesen.

Insgesamt spricht aus allen Beiträgen unübersehbar eine große Begeisterung der Autorinnen für ihr Fach. Eine gemeinsame Botschaft aller Aufsätze ließe sich etwa so formulieren: Mathematik macht Spaß und hält nach wie vor unzählige spannende offene Fragen bereit, die auf Lösungen warten.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 6/2012

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