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Die Energie der Mitochondrien und ein bewegtes Forscherleben

Die Kraftwerke aller lebenden Zellen, die Mitochondrien, gewinnen Energie durch kalte Verbrennung von Nährstoffen und speichern sie dann in Form von ATP. An der Frage, wie dieser grundlegende Vorgang im Einzelnen abläuft, knobelten die Wissenschaftler ein halbes Jahrhundert lang herum, von der Entdeckung der Mitochondrien Anfang der 1940er Jahre bis zur Strukturaufklärung des Schlüsselenzyms ATPase in den 1990er Jahren.

Der österreichische Chemiker Gottfried Schatz hat jahrzehntelang mitgeknobelt, vornehmlich in den USA und dann am Biozentrum in Basel. Er war an der Entdeckung beteiligt, dass Mitochondrien eigene DNA enthalten, und konzentrierte sich in seiner späteren Laufbahn auf die Frage, wie diese Organellen jene Biomoleküle importieren, die sie mit ihrem eigenen, stark reduzierten Genom nicht herstellen können.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte die Mitochondrienforscher vor allem die Frage, woher das ATP-produzierende Enzym (die ATP-Synthase) die Energie nimmt, die nach der Synthese im ATP steckt. Als Postdoc im New York der 1950er Jahre setzte Schatz, wie die meisten seiner Kollegen zu jener Zeit, auf die falsche Karte. Fast alle glaubten, eine andere chemische Verbindung stelle die benötigte Energie bereit, und suchten vergeblich nach ihr. Dagegen postulierte der britische Einzelgänger Peter Mitchell Anfang der 1960er Jahre, ein Konzentrationsunterschied von Wasserstoffionen beiderseits der Membran sei die Energiequelle. Obwohl ihn die Expertenwelt zunächst nicht ernst nahm, behielt Mitchell Recht und erhielt 1978 den Nobelpreis für Chemie.

Autobiografie, Wissenschaft und Philosophie – in Maßen

Die zweite große Erkenntnis der Mitochondrienforschung betraf das Enzym, das aus dem Konzentrationsgefälle chemische Energie gewinnt. Die F1-Fo-ATPase (verwirrenderweise sind die Indizes die Ziffer 1 und der Buchstabe o) führt eine dreistufige Rotation durch, wie zuerst von Paul Boyer postuliert und 1994 röntgenkristallografisch von John Walker nachgewiesen wurde. Beide teilten sich den Nobelpreis für Chemie im Jahr 1997 (Spektrum der Wissenschaft 12/1997, S. 18).

Schatz war an diesen beiden großen Entdeckungen nicht beteiligt. Dennoch (oder vielleicht deswegen) ist sein Werk interessanter als Mitchells Biografie (John Prebble, Bruce Webber: Wanderings in the Garden of the Mind, Oxford University Press 2003). In einer gelungenen Mischung aus etwa gleichen Teilen Autobiografie, Populärwissenschaft und Philosophie verknüpft Schatz seine Suche nach dem "Feuer" der Zelle mit seinen Erfahrungen als Kriegskind und als heimatloser Wanderer in der Nachkriegszeit.

Für den Leser hat das den Vorteil, dass er mit keinem der drei Bestandteile überfüttert wird. Die Beschreibung der wissenschaftlichen Entwicklung beschränkt sich auf die Wege und Irrwege zur Beantwortung der "großen Fragen", die auch für Laien zur Allgemeinbildung gehören sollten; seine durchaus fruchtbare Arbeit zum oben genannten Import in der Baseler Zeit erwähnt er nur ganz am Rand.

Auch in den autobiografischen Ausführungen belässt es Schatz bei wichtigen, prägenden Erfahrungen, die geschickt mit der wissenschaftlichen Entwicklung verwoben sind. Seine dänische Ehefrau tritt nur marginal in Erscheinung. Immerhin erinnert die Verwendung des dänischen Umlauts å bei der Wiedergabe von Zitaten in österreichischer Mundart an die internationale Zusammensetzung der Familie Schatz.

Abgerundet wird das Ganze mit Lebensphilosophie und Altersweisheit. Auch hier weiß der Autor, wann er mit dem Philosophieren aufhören muss, um uns nicht auf die Nerven zu gehen.

Illustriert ist der Band mit zahlreichen Porträtskizzen und einigen wenigen wissenschaftlichen Zeichnungen des Biophysikers Leslie Dutton, der sich laut Klappentext bei wissenschaftlichen Kongressen die Zeit damit vertreibt, die Kollegen zu zeichnen. Auch dies eine geniale Lösung für ein uraltes Problem der Wissenschaft!

Kurzum, das Buch ist als Lektüre für Wissenschaftler und Laien gleichermaßen zu empfehlen. Es mag auch anderen Emeriti als Vorbild dienen, indem es aufzeigt, wie man ein Leben, eine Weltanschauung und eine Forschungsdisziplin zu einem lesenswerten Buch verquirlen kann.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 10/2011

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