Falsche Fährte
"Dieses Buch wird Ihnen helfen aufzublühen", verspricht der US-amerikanische Psychologe Martin Seligman gleich auf der ersten Seite. Seine These lautet dabei: Das Glück wird zu wichtig genommen! Entscheidender sei die Frage, was uns zu einem geglückten, das heißt gelungenen Leben verhelfe. Für den Mitbegründer der Positiven Psychologie ist Glück allein nicht der Schlüssel dazu. Echtes Wohlbefinden basiere auf fünf Säulen: positive Emotionen spüren; Engagement; Beziehungen und Verbundenheit mit anderen Menschen; Sinn im Leben erkennen; etwas leisten und Kompetenz entwickeln.
Anhand von Anekdoten aus seinem Leben schildert der Autor zunächst die Entwicklung der Positiven Psychologie. Ein Test individueller Charakterstärken und kleine praktische Übungen regen den Leser an dieser Stelle dazu an, sich seine eigenen Ressourcen bewusst zu machen – ganz im Sinne dieser Schule.
Im zweiten, deutlich längeren Teil berichtet der Autor von Inhalt und Erfolgen seiner Trainings zur Förderung psychischer Widerstandskraft. Nach wenigen Seiten wird klar, dass er dabei keine kleinen Brötchen backt. Seligmans Vision: Statt das vorhandene Leid zu bekämpfen und Symptome zu lindern (was Psychopharmaka oder auch Psychotherapie täten), will er die psychische Widerstandskraft der Menschen stärken. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit einem Training zur Förderung posttraumatischen Wachstums bei Soldaten. Es soll verhindern, dass Symptome einer Traumafolgestörung überhaupt erst entstehen.
Zu guter Letzt wird es dann noch weltanschaulich. Seligman führt empirische Studien ins Feld, denen zufolge mehr Reichtum nicht zwingend zu größerem Wohlbefinden führt. Er spart nicht mit Kritik an Politik, Ökonomie und dem Streben nach stetig anhaltendem Wirtschaftswachstum. Dabei stützt er alle Aussagen auf wissenschaftliche Belege, die seine Thesen glaubhaft untermauern.
Dies führt allerdings dazu, dass sich der Leser während des gesamten zweiten Teils der Lektüre auf eine akademische Metaebene begeben muss. In Bezug auf das eigene Leben bringt einem die Lektüre wenig. Gemessen am anfänglichen Versprechen enttäuscht sie daher. Mit Ausnahme der wenigen Übungen – die allerdings in ähnlicher Form auch in jedem therapeutischen Buch zur Ressourcenförderung zu finden sind – gibt der Autor keine praktischen Tipps für den Alltag.
Am Ende des Buchs wird der Leser sich um einige wissenschaftliche Erkenntnisse reicher fühlen, keinesfalls aber "aufgeblüht" sein. Bleibt die Frage, an welche Leser sich Seligman in seinem Buch überhaupt wendet. Das Zitat aus seiner Danksagung ist da aufschlussreich: "'Ich habe keine bestimmte Leserschaft im Sinn', sagte ich zu Mandy [seiner Frau]. 'Dann schreib es einfach für dich selbst', antwortete sie."
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