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Die galileische Revolution

In der langen Geschichte der Astronomie sind viele großartige Entdeckungen "denkwürdig". Sie alle – oder fast alle – gründen letztlich aber auf Beobachtungen mit dem Fernrohr. Darum markiert das Jahr 1609, als erstmals ein Mensch damit prominente Objekte am Himmel (Sonne, Mond, Planeten, Milchstraße...) angeschaut hat, den Anfang einer neuen Zeit – weg von den Peilgeräten des Altertums, hin zu lichtsammelnden und vergrößernden optischen Hilfsmitteln für die Beobachtung.

Als Galionsfigur am Schnittpunkt dieser Epochen steht unangefochten Galileo Galilei – obwohl andere Astronomen, wie Thomas Harriot in England und Simon Marius in Ansbach, etwa zeitgleich, Ähnliches geleistet haben. Die schnelle Veröffentlichung von Galileis Entdeckungen bereits im März 1610 im Sidereus Nuncius hat wohl seinen Weltruhm begründet.

Die weltweite astronomische Gemeinschaft hat durch die UNESCO mit der Proklamation, 2009 als "Internationales Jahr der Astronomie" zu begehen, würdig reagiert: Überall auf dem Globus gab es Veranstaltungen mit Vorträgen, Beobachtungsnächten, Ausstellungen, Tagungen und Festakten. Unter den mehr als 130 am Jubiläum beteiligten Ländern und Städten, initiierte das Zentrum für Astronomie (ZAH) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Wintersemester 2008/2009 eine Vortragsreihe, mit dem Ziel, der gegenwärtigen Generation die Bedeutung der Ereignisse um und nach 1609 näherzubringen. Die Vortragsreihe wurde (visuell) begleitet und parallel unterstützt durch eine Ausstellung "Himmlisches in Büchern, aus sechs Jahrhunderten" in der Universitätsbibliothek Heidelberg.

Den äußeren Rahmen der zehn in diesem Buch veröffentlichten Vorträge bildete die Einrichtung des Studium Generale, das allen interessierten Bürgern Heidelbergs angeboten wird.

Drei Vorträge zur Einstimmung und Eröffnung zum Thema beleuchten die "Galileische Revolution", seine Persönlichkeit, sein Umfeld, die höfische Institution der damaligen Zeit, die Jesuiten, den Papst und die Kirche (Jürgen Renn, Berlin, und Wilhelm Schmidt-Biggemann, Berlin), und schließlich die Vorlesung von William R. Shea (aus Padova) über "Galileo’s Discovery of the Satellites of Jupiter", übrigens der einzige Beitrag in Englisch. Der Leser wird in diesem Vortrag über Galileis Beobachtungstechniken, Ergebnisse und von ihm erfundene Hilfsmittel, wie das "Jovilabe", vertraut gemacht. Zudem stellt der Autor Galileos Idee vor, die Beobachtung der Jupiter-Monde zur Längenbestimmung bei der Seefahrt zu nutzen – als himmlische Uhr sozusagen, als noch keine exakten mechanischen Uhren verfügbar waren. Damit war Galileo seiner Zeit lange voraus.

Ab dem vierten Vortrag mit dem Thema "Die Erforschung der Milchstraße" von Ulrich Bastian und Eva K. Grebel, beide Wissenschaftler am ZAH, kommt das Buch in der Gegenwart an. Klar – die historische Wandlung und Deutung des Phänomens "Milchstraße" ist zum Verständnis zunächst erforderlich. Auch die Schwierigkeiten bei der Erforschung werden nicht verschwiegen: "Es ist als stünden wir mitten in einem dichten Wald und sollten herausfinden, ob seine äußere Begrenzung rund, quadratisch oder langgestreckt ist." Vieles haben wir in der jüngeren Vergangenheit über unsere Muttergalaxie – teils mit (aus heutiger Sicht) primitiven Mitteln – herausgefunden. Trotzdem harren viele Details zur Struktur und Evolution der Milchstraße noch der Klärung.

Mit dem ESA-Projekt Gaia, das gegen Ende 2012 arbeiten soll, beginnt eine neue Ära der extraterrestrischen Erforschung unserer Galaxis: Für (unvorstellbar!) eine Milliarde Sterne werden Positionen, Entfernungen und Bewegungen mit höchster Genauigkeit gemessen. Wenn alles gut geht, wissen wir um 2020 herum, wo wir im Universum wirklich leben...

Auf die alte Menschheitsfrage "Sind wir allein im Kosmos?" hat die Wissenschaft bis heute keine befriedigende Antwort parat. Vordergründig ist dabei zunächst die Suche nach Orten, die lebensfreundliche Bedingungen, also Bewohnbarkeit, bieten. Da wir im Sonnensytem offenbar einzigartig sind, musste die Suche auf extrasolare Planeten ausgedehnt werden. Mit diesem Anliegen ist der fünfte Vortrag befasst. Joachim Wambsganss (vom ZAH) stellt die weltweit gewaltigen (auch finanziellen!) Anstrengungen vor, bewohnbare Planeten zu finden. Er beschreibt die möglichen Methoden zur Entdeckung und teilt bisher erreichte Ergebnisse mit: Bis Mitte 2010 wurden 429 extrasolare Planeten gefunden, derzeit steht der Zähler schon bei mehr als 500 Exoplaneten.

Noch sind die Methoden nicht empfindlich genug, um erdähnliche Körper (unter anderem bezüglich der Masse) aufzuspüren. Solange müssen Fragen nach Biomarken offen bleiben. Entscheidende Fortschritte werden vom Satelliten COROT, der amerikanischen Mission Kepler und von Gaia erwartet.Der Spannungsbogen von Galileis Fernrohr mit einem Objektiv-Durchmesser von gerade mal fünf Zentimetern zu den modernen Teleskopen kann eindrucksvoller nicht präsentiert werden: Die Teleskope der Acht-Meter-Klasse sind inzwischen Realität, beispielsweise das Very Large Telescope; Untersuchungen zu einem 42-Meter-Teleskop laufen. Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg (MPIA) schildert in einem spannenden Beitrag die Zunahme der lichtsammelnden Teleskopflächen über die Jahrhunderte. Am Beispiel des "Large Binocular Telescope" (LBT) in Arizona verfolgt Henning diese Geschichte.

Die Bedeutung der elektromagnetischen Strahlung für physikalisch relevante Vorgänge im Kosmos im kurz- und langwelligen Frequenzbereich ist heute unbestritten. Da die Atmosphäre der Erde – leider – absorbierend wirkt, war deren Überwindung unumgänglich. Erfolge gab es in den 1970er Jahren mit dem Ballonteleskop Thisbe, später durch die Infrarot-Satelliten IRAS und ISO. Dietrich Lemke, ebenfalls vom MPIA, erzählt diese Entwicklung aus der Sicht eines Astronomen an der "vorderen Front".

Schließlich beschließen drei Vorträge, überwiegend theoretischer Natur, den Sammelband, der sich mit Galilei und den Folgen der 1609 in Gang gebrachten Entwicklung bis in unsere Tage auseinandersetzt: Norbert Straumann von der Universität Zürich versucht dem Leser die Überlegungen Einsteins zur modernen Kosmologie näherzubringen. Dies ist der einzige Beitrag der Reihe, der für durchschnittlich gebildete Teilnehmer des Studium Generale nur schwer verständlich gewesen sein dürfte.

Über den heutigen Stand der Erkenntnisse zur Struktur des Universums, über mögliche Weltmodelle (zum Beispiel den Friedmann-Lösungen der allgemeinen Relativitätstheorie), über Expansion und Mikrowellenhintergrund unter anderem referierte Matthias Bartelmann vom ZAH der Universität Heidelberg in eindrucksvoller Weise.

Auf viele drängende Fragen, die Menschen zu allen Zeiten, aber besonders in unserem aufgeklärten Jahrhundert, beschäftigen, weiß die Naturwissenschaft keine befriedigenden Antworten zu geben. Darum gehört der abschließende Beitrag dieses Buchs auch einem Philosophen und Theologen, nämlich Stefan Bauberger aus München. Er versucht Annäherungen zu Grenzfragen der Philosophie und Theologie zu vermitteln. Sein Credo: "... nur mit dem staunenden Blick auf die Welt können wir uns ihrer Wirklichkeit annähern."

Das atemberaubende Tempo des technischen Fortschritts während der 400 Jahre seit Galileis erstem Blick durchs Fernrohr und die daraus resultierenden Erkenntnisse über die Welt wird jeden aufgeschlossenen Leser dieses Buches faszinieren. Mein Fazit: Sehr empfehlenswerte Lektüre!

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  • Quellen
Sterne und Weltraum 2/2011

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