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Der große kleine Unterschied

Dieses Buch haben wir lange schmerzlich vermisst. Denn bislang war die Diskussion darüber, was Männer und Frauen im Kopf unterscheidet, von Pauschalisierungen geprägt, wenn nicht sogar von Vorurteilen und platten Kalauern. Damit ist es jetzt vorbei. Drei Neuropsychologen ist es zu verdanken, das der "state of the art" der neurowissenschaftlichen Geschlechterforschung kompakt, verständlich und differenziert in einem Buch nachzulesen ist. Ein Muss für jeden, der im Streit um den kleinen Unterschied mitreden will.

Den Herausgebern ist gelungen, was sie im Vorwort ankündigen – nämlich ein Buch, "das sowohl für Experten interessant ist als auch für Laien lesbar". Es gliedert sich in drei Abteilungen: Neurobiologie, Psychologie und Pathologie. Dabei kommt alles zur Sprache, was das Thema hergibt: von hormonellen Unterschieden über die verschieden ausgeprägten Talente der Geschlechter beim Denken oder Träumen bis hin zu Anfälligkeiten für Essstörungen, Depressionen und Schizophrenie.

Besonders lobenswert: Die referierten Studienergebnisse bleiben nicht – wie in wissenschaftlichen Publikationen oft üblich – im Elfenbeinturm der Forschung eingeschlossen, sondern werden immer wieder auf den Boden der gesellschaftlichen Kontroverse heruntergeholt. So macht etwa Mitherausgeber Markus Hausmann in seinem Kapitel über kognitive Geschlechterunterschiede klar: "Voraussagen über die kognitive Kompetenz eines Individuums allein auf der Basis des Geschlechts sind nicht möglich. Dass eine Geschlechtergruppe für bestimmte Berufe generell besser oder weniger gut geeignet ist, lässt sich aus den Forschungsergebnissen ebenso wenig ablesen."

Auch die viel gerühmte weibliche Emotionalität erweist sich eher als hartnäckiges Stereotyp. So zeigen Überblicksstudien, "dass die Ähnlichkeit in der Gehirnaktivierung von Männern und Frauen bei der emotionalen Verarbeitung die Unterschiede deutlich übertrifft".

Ein weiterer entscheidender Faktor: Jenseits der Biologie wird unser Denken und Verhalten stark davon beeinflusst, was wir uns selbst und anderen zutrauen. Frauen beispielsweise, die glauben, sie könnten nicht einparken oder kopfrechnen – sie seien eben Frauen –, versagen dabei in der Tat eher. Das Bewusstsein bestimmt das Sein – die Geschlechterforschung stellt das Marx’sche Motto kurzerhand auf den Kopf. Doch wie gelingt es, Unterschiede zur Kenntnis zu nehmen und in Schule, Berufsleben und Medizin zu berücksichtigen, ohne sie in vorschnelle Normen und Stereotype umzumünzen? Vor dieser Aufgabe steht eine wirklich emanzipierte Gesellschaft. Sie erfordert etwas, worüber Männer und Frauen gleichmaßen verfügen: geistige Flexibilität.
  • Quellen
Gehirn und Geist 3/2008

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