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Gesundheit ist machbar

Jörg Blech ist Molekularbiologe und Journalist. Mit Bestsellern wie "Die Krankheitserfinder", "Heillose Medizin" und "Heilen mit Bewegung" kritisierte er vor allem Ärzte und Pharmaindustrie. Seit 1999 arbeitet er in der Wissenschaftsredaktion des "Spiegel".

Der Klappentext seines neuen Buchs verspricht revolutionäre Schlussfolgerungen und Auswirkungen auf unsere persönliche und gesellschaftliche Lebensweise. Sein Gesundheitsrezept bringt allerdings nichts weiter als die bekannten Ratschläge: Führe ein gesundes und möglichst optimistisches Leben, gehe täglich flott spazieren, meditiere und ernähre dich gesund. Blechs Hauptanliegen ist wohl eher, dem Hype um die Gene und die personalisierte Medizin ein Ende zu setzen. Nicht die Gene sind für unsere Gesundheit verantwortlich, sondern wir selbst – das ist seine Botschaft.

Tatsächlich gibt es nur wenige Erkrankungen, die durch ein einzelnes Gen verursacht werden. Bei allen anderen Krankheiten liegt höchstens eine genetische Anfälligkeit vor, die sich aber nicht bemerkbar machen muss. Je mehr Gene an einer Erkrankung beteiligt sind, desto geringer ist ihre Bedeutung, und desto größer wird der Umwelteinfluss. Blech spricht von zahllosen "unverdauten genetischen Assoziationen", welche die Forscher einfach dadurch hervorbringen, dass sie mit großen Datenmengen lange genug herumrechnen. Ihrer Bedeutungslosigkeit zum Trotz würden sie in den Medien als "Gen der Woche" hochgespielt, mit dem Effekt, dass deren Konsument Gene nicht nur für viele Krankheiten, sondern auch für Stimmung und Verhalten verantwortlich mache. Blech zeigt, dass die meisten wissenschaftlichen Entdeckungen "neuer" Gene ("Depressionsgen", "Mathegen", "Kriegergen") entweder nicht replizierbare Zufallsbefunde oder eher auf kulturelle Einflüsse denn auf genetische Ursachen zurückzuführen waren.

Die Schuld an dieser Sensationsmache sieht Blech bei den Wissenschaftlern, die unter enormem Publikationsdruck ihre Ergebnisse mit statistischen Methoden wichtiger machen, als sie sind. Er scheint dabei zu übersehen, dass es primär Journalisten sind, die wissenschaftliche Veröffentlichungen zu publikumswirksamen Schlagzeilen verarbeiten. Schließlich stehen auch sie unter einem gewissen Publikationsdruck.

Liest man nicht nur Überschrift und Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Artikels, sondern den ganzen Text, insbesondere die Diskussion, so stellt man fest, dass die Wissenschaftler ihre eigenen Ergebnisse in der Regel durchaus kritisch bewerten und die in der Überschrift zu findende Aussage dadurch relativieren, dass sie ihre Befunde in den Gesamtkontext einordnen. Außerdem sollte man berücksichtigen, dass die Schwerpunkte in der medizinischen Forschung meist nicht durch die Wissenschaftler bestimmt werden, sondern politisch gewollt sind und durch die Vergabe von Forschungsmitteln gelenkt werden.

Nachdem Blech den Genen den Garaus gemacht hat, liefert er anschließend sehr eindrucksvolle Beispiele aus der epigenetischen Forschung, wonach die Steuerung der Gene für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden viel wichtiger ist als die Gene selbst. Die Steuerung steht damit im wahrsten Sinn des Wortes "über" den Genen. Die Epigenetik beschäftigt sich mit den äußeren Einflüssen, die – über eine chemische Änderung, die so genannte Methylierung – bestimmen, welche Gene wann und wie häufig abgelesen werden (Spektrum der Wissenschaft Spezial 1/2010 "Zufall und Chaos", S. 32). Blech zitiert zahlreiche namhafte Wissenschaftler und belegt mit überprüfbaren Quellen, dass nicht nur Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung oder Ernährung, sondern auch Erfahrungen, Gedanken und Gefühle diese genetische Steuerung und sogar die Anatomie unseres Körpers beeinflussen.

Millionen von Steuergeldern werden dafür ausgegeben, Gene für Stressresistenz, Depression, Übergewicht oder Krebs zu finden. Genomanalysen sollen eine personalisierte Medizin, genetische Risikoprofile und maßgeschneiderte Medikamente ermöglichen. Alles nur Wunschdenken, sagt Blech. Er scheint sich darüber zu wundern, dass alle Welt für alle möglichen Dinge ein Gen verantwortlich machen möchte, gibt sich aber im Epilog selbst die Antwort: "Die Genetik erscheint vielen Menschen wie eine neue Religion. Ihr Schicksal, so denken sie, habe sich in ihren Genen bereits entschieden. Der Glaube an die Allmacht der Biologie spendet Trost und schenkt Entlastung", das, was früher der Glaube an Gott leistete. Wenn es an den Genen liegt, dass man krank wird, dann ist man auch nicht dafür verantwortlich. Mit diesem Trugschluss räumt Blech in seinem Buch gründlich auf.

Allerdings verspricht der Titel des Buchs mehr, als er letztlich halten kann. Über die altbekannten Ratschläge zur gesunden Lebensführung hinaus gibt der Autor seinen Lesern keine Anleitungen, wie sie ihre Gene steuern können. Wahrscheinlich kann es solche Rezepte gar nicht geben. Auch Menschen, die einen gesunden Lebensstil pflegen, werden manchmal krank. Über viele äußere Faktoren haben wir eben weder die Macht noch die Kontrolle. Vielleicht ist es – Epigenetik hin oder her – letztlich auch eine Gnade, gesund zu sein.

Blech schafft es immer wieder, wissenschaftliche Inhalte ansprechend und lesbar darzustellen und den Leser mit interessanten Einstiegen und kleinen Geschichten rund um seine Recherchen zu fesseln. Das Buch dürfte vom interessierten Laien bis zum habilitierten Neurowissenschaftler einen weiten Kreis von Lesern ansprechen. Lesenswert trotz einiger Kritikpunkte, vor allem wegen der ausführlichen Zusammenstellung wissenschaftlicher Belege für epigenetische Einflüsse auf die Gesundheit.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 12/2010

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