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Gefühle im Wandel der Zeit

Empfinden alle Menschen Trauer und Freude, Stolz und Einsamkeit gleich? Um solche Fragen zum Wesen von Gefühlen zu beantworten, unternimmt Jan Plamper von der University of London eine Reise in die Vergangenheit. In diesem Sachbuch gibt der Historiker einen beeindruckenden Überblick über die Emotionsforschung und speziell die noch relativ junge Disziplin der Emotionsgeschichte.

In zwei zentralen Kapiteln stellt Plamper die beiden gegensätzlichen Pole dieser Disziplin vor. Der konstruktivistischen Sichtweise der Sozial- und Geisteswissenschaftler zufolge sind Gefühle vor allem eines: ein Produkt sozialer, kultureller und historischer Bedingungen. Für diese Perspektive habe die Ethnologie zahllose Belege gesammelt; hier schöpft Plamper aus reichhaltigen und äußerst anschaulichen Materialien. So verspüre etwa eine Volksgruppe auf Papua-Neuguinea das Gefühl der Einsamkeit als Hunger. Diesen empfänden sie aber nicht als körperliches Verlangen, sondern als emotionalen Missstand, denn Gesellschaft sei für sie lebensnotwendig.

Widerpart des Sozialkonstruktivismus ist der Universalismus, eine Position, für die vor allem Experimentalpsychologen Partei ergreifen. Demnach äußern sich Gefühle bei Menschen in allen Kulturen und zu allen Zeiten in ähnlicher Weise. Der wohl bekannteste Vertreter dieser Sichtweise ist der Anthropologe Paul Ekman, emeritierter Professor von der University of California in San Francisco. Aus seinen empirischen Erkenntnissen zur menschlichen Mimik filterte er eine Reihe von basalen Emotionen wie Wut und Ekel heraus, die Menschen kulturübergreifend in gleicher Weise ausdrücken und erkennen.

Im abschließenden Kapitel schildert Plamper Versuche, die beiden vermeintlich unvereinbaren Positionen miteinander in Einklang zu bringen. Zuvor legt er vor allem die Schwächen von Ekmans methodischem Vorgehen offen. Auch manche überzogene Interpretation der boomenden Hirnforschung zu sozialen Emotionen kritisiert der Historiker zu Recht. Das Konzept der Spiegelneurone etwa hätten einige Neurowissenschaftler in den vergangenen Jahren überstrapaziert und diesen Nervenzellen eine Beteiligung an höheren kognitiven Leistungen zuerkannt, zum Beispiel beim Sprachverständnis.

Für besonders problematisch hält es der Autor, wenn Kollegen aus Geistes- und Sozialwissenschaften die keineswegs unumstrittenen Ergebnisse der Spiegelneuronenforschung unkritisch auf ihre eigene Arbeit übertragen. So erkläre etwa ein Kunsthistoriker den Erfolg einiger Kunstwerke damit, dass sie die dargestellten Emotionen körperlich nachfühlbar machten.

Mit diesem anschaulichen Sachbuch liefert Plamper einen faszinierenden Einblick in die Welt der Emotionen und ihrer Erforschung. Obwohl er selbst Historiker ist, gelingt es ihm, nicht nur geistes- und sozialwissenschaftliche, sondern auch naturwissenschaftliche Analysen fundiert darzulegen. Allerdings sollte der Leser neben einigem Vorwissen auch eine Portion Geduld und Wissensdurst mitbringen. Denn des Öfteren geht es dem Autor weniger um die Emotionen selbst als um ihre Erforschung. Nüchterne wissenschaftstheoretische Überlegungen sind da keine Seltenheit.

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  • Quellen
Gehirn und Geist 3/2013

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