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Die Martini-Formel

"Wollen Sie das Spiel leicht oder schwer machen? Das ist kein Beruhigungsrevolver", warnt Pussy Galore James Bond in "Goldfieber" in 7000 Meter Höhe über Neufundland. "Oh Pussy", erwidert dieser daraufhin, "Sie verstehen mehr von Flugzeugen als von Revolvern. Das ist eine Smith & Wesson .45. Wenn Sie aus der Entfernung schießen, geht die Kugel durch mich und die Flugzeugwand wie ein Lötkolben durch Butter. Die Kabine verliert ihren Druck, und der Sog befördert uns beide in den Weltraum hinaus."

Würde dies wirklich geschehen, oder versucht James Bond seine Bewacherin nur zu verunsichern? Szenen wie dieser gehen die beiden Physikprofessoren Metin Tolan und Joachim Stolze von der TU Dortmund in ihrem Buch "Geschüttelt, nicht gerührt – James Bond und die Physik" auf den Grund. Nachdem die einzelnen Parameter ermittelt oder geschätzt wurden ("James Bond ist gut durchtrainiert und daher ungefähr 25 Zentimeter dick"), rechnen sie ganz ohne Formeln oder Fachwörter vor, dass die Kugel es wohl gerade schaffen könnte, Bond und die Flugzeugwand zu durchschlagen.

Dabei würde ein Sog entstehen, da die Luft in der Flughöhe sehr dünn ist und Sauerstoffanteil wie Luftdruck in der Außenatmosphäre wesentlich geringer ausfallen als im Flugzeuginneren. Doch nach anderthalb Seiten ist auch dem Physiklaien klar, dass der entstehenden Sog niemals stark genug wäre, um einen Menschen tatsächlich nach draußen zu ziehen.

Wie das gesamte Buch ist auch diese Szene bis ins letzte Detail recherchiert, selbst wenn manche der Randinformationen keine größere Bedeutung für die eigentliche Berechnung haben. Interessant sind die Erklärungen trotzdem: Warum sollten die beiden überhaupt in den Weltraum hinaus befördert werden? Denn von "Weltraum" wird erst ab einer Höhe von 80 Kilometern gesprochen. Dieser Fehler ist allerdings nicht Bond anzulasten, sondern der Übersetzung aus dem Englischen. Dort spricht der Geheimagent zwar von "outer space", in dieser Szene meint er damit allerdings einfach "draußen".

Sollten bei aller Ausführlichkeit dem Physik-Fachmann die exakten Begriffe und Formeln dennoch fehlen, folgen am Ende eines jeden Kapitels noch die "Details für Besserwisser". Hier klingt es dann schon eher nach typischer Physiksprache – etwa wenn es heißt, dass die Berechnung der Eindringtiefe der Kugel "nur für große Geschwindigkeiten gilt, weil ansonsten die Kohäsionsenergie [...] gegenüber der kinetischen Energie nicht mehr vernachlässigt werden kann". Auch geben die beiden Autoren erst in diesem Zusatz Gleichungen in allgemeiner Form sowie Rahmenbedingungen für die genaue Herleitung einzelner Variablen an.

Den Detailreichtum und die unerschöpflichen Randinformationen lassen sich auf der einen Seite sicher positiv bewerten. Doch sie machen die Lektüre insgesamt teilweise mühselig und überfordern manchmal die Aufnahmefähigkeit. Erst als ich mich überwand, die unzähligen Fußnoten einfach wegzulassen, ließen sich die Kapitel leichter lesen.

Und leider nur ab und an kommt der Witz durch, der die ursprüngliche James-Bond-Vorlesung der beiden Physiker – auf der dieses Buch aufbaut – auszeichnete. Denn auch im Vorlesungssaal versucht Metin Tolan mit auf den ersten Blick weit hergeholten Beispielen Physik anschaulich zu erklären. Hier zeigt er lebensnah, wie wichtig Physik für jeden Geheimagenten ist, der agieren möchte wie 007.

Wer die James-Bond-Filme liebt, wird durch dieses Buch gewiss nicht von deren Abstrusität und Realitätsferne überzeugt. Vielmehr könnten die meisten Stunts und Begebenheiten so oder so ähnlich wirklich funktionieren. Und wer wissen will, warum geschüttelte Martinis wirklich besser schmecken als gerührte, sollte dieses Buch auf jeden Fall lesen.

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