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Wo liegt das deutsche Oxford? In Oestrich-Winkel

Eigentlich hat Julia Friedrichs, Jahrgang 1979, an dem Auswahltest der Unternehmensberatung McKinsey nur im Rahmen einer journalistischen Recherche teilgenommen, um mehr über diese publizitätsscheue Firma zu erfahren. Zu ihrer großen Überraschung besteht sie den Test und wird auf einen Segeltörn in die Ägäis eingeladen: eine Schnuppertour in die Welt der Reichen und Mächtigen, die "Elite von morgen".

Da prallen Welten aufeinander für die Tochter eines sozialdemokratischen Lehrers aus dem Münsterland, die von Kind auf das Ziel verinnerlicht hat, "die Schwachen zu stützen und nicht jene zu fördern, denen sowieso vieles leichtfällt". Mehr noch: Unversehens gerät die Begegnung zur persönlichen Anfechtung. Auf der einen Seite schätzen die Vertreter der Elite Julias bisherige Karriere – Standardstudium an der Standarduniversität Dortmund – und damit auch gleich ihre ganze Person als misslungen ein; andererseits fürchten die Mitglieder ihrer Wohngemeinschaft, darunter ihr Freund Tom, sie werde jetzt in andere Sphären entschweben.

Es macht die besondere Qualität dieses Buchs aus, dass die Autorin sich nicht, wie üblich, auf eine der beiden Seiten schlägt und es dabei bewenden lässt, sondern mit großem Fleiß dem Phänomen "Elite" nachrecherchiert. Sie besucht private Elitehochschulen wie die European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel im Rheingau ("Zwar klingt die Aufzählung Harvard, Oxford, Oestrich-Winkel noch etwas gewöhnungsbedürftig, aber im Gegensatz zu den USA oder England hat Deutschland ja mit der Elitepflege gerade erst begonnen."), die Bayerische Elite-Akademie in München, eine Kindertagesstätte, die zum Basissatz von knapp tausend Euro monatlich die süßen Kleinen auf das Leben an der Spitze der Gesellschaft vorbereitet, ein exklusives Internetforum namens schwarzekarte.de, mehrere Edelinternate und etliche Plätze mehr.

Da finden sich auch die "Pressen", die für teures Geld die unmotivierten Kinder betuchter Eltern durchs Abitur hieven, und jede Menge Mittzwanziger, die nur dümmlich- arrogant ihren Reichtum zur Schau stellen. Das gibt viel Stoff für Sozialneid; aber noch verstörender sind die Leute, die ihr ganzes Leben mitsamt Freizeit und Freundschaften ihrer Karriere unterordnen. Wer weniger als 70 Stunden pro Woche arbeitet, gilt als "Minderleister". Und: "Jeden Morgen wacht in Afrika eine Antilope auf und weiß, sie muss schneller laufen als jeder Löwe, um zu überleben. Jeden Morgen wacht in Afrika ein Löwe auf und weiß, er muss schneller laufen als die langsamste Antilope." Ist das wirklich die Welt, in der sich die nächste Generation der Studienabsolventen behaupten muss? Genügt es wirklich nicht mehr, seine Arbeit gut zu machen und sich im Übrigen etwas Selbstverwirklichung – oder auch Abhängen vorm Fernseher – zu gönnen?

Die Autorin ist wohltuend frei von ideologischer Verbohrtheit. Sie gibt offen zu, dass das gute Leben mit gediegener Wohnqualität, einem Wohnumfeld ohne Penner, komfortablen Verkehrsmitteln und anderen Annehmlichkeiten auch für sie einen erheblichen Reiz hat. Desgleichen hat sie absolut nichts dagegen einzuwenden, wenn außergewöhnliche Begabung und hohe Leistungsbereitschaft ihren Trägern einen Spitzenplatz in der Gesellschaft mitsamt diesen Annehmlichkeiten einbringen. Nur sind diese persönlichen Eigenschaften im Allgemeinen weniger hilfreich als Papas Geld und die "Chemie", dieses Gemisch aus Einstellungen und Verhaltensweisen, an dem der Chef in dem Bewerber seinesgleichen erkennt und deswegen eher geneigt ist, ihn einzustellen.

Allgemeinbildung, Charakter, Bereitschaft zu selbstständigem Denken oder auch nur politisches Interesse hat Julia Friedrichs bei ihren Gesprächspartnern nur sehr wenig gefunden. Ausgerechnet Guido Westerwelle muss seine verdutzten Zuhörer von der EBS daran erinnern, dass nicht nur der Stärkste überleben soll, sondern auch der Schwache und Schwächste.

Ein immer wieder geäußertes Lebensziel ist "Verantwortung übernehmen", und dabei denken die meisten Angehörigen der Jung-Elite nur an das Eine: Unternehmensberater werden, über das Schicksal von Leuten entscheiden, von denen man sich bewusst abgesetzt hat. "Mit dem Begriff 'Elite' ist ein Konzept verbunden, das eine Spaltung der Gesellschaft vorsieht. 'Elite' heißt 'Masse' auf der anderen Seite. Anders lässt sich das nicht deuten", so der Lebenslaufforscher Michael Hartmann, den Friedrichs ausgiebig zitiert.

In den alten Zeiten, als es in der FDP noch Persönlichkeiten gab, die etwas zu sagen hatten, zählte Ralf Dahrendorf zu den Voraussetzungen für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft "die Buntheit und Vielfalt ihrer Eliten". Von diesem Konzept sind die Leute, die heute so offensiv den Elitebegriff im Munde führen, meilenweit entfernt.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 10/2008

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