Verwirrung der Gefühle, drahtlos
Der Grundgedanke von Adam Fawers neuem Thriller ist kaum weniger realitätsfern als die drahtlose Gedankenübertragung ("Telepathie"), mit der sich die Sciencefiction-Literatur bis zum Überdruss beschäftigt hat, aber bescheidener: drahtlose Gefühlsübertragung.
Wie das physikalisch vonstattengehen soll, muss man so genau nicht wissen. Niederfrequente elektromagnetische Wellen sollen es sein, erzeugt durch die kollektive Aktivität der Neurone im Gehirn eines Menschen. Die – in der Wissenschaft ernsthaft diskutierten – Spiegelneurone im Gehirn eines anderen Menschen geraten in Resonanz mit diesen Wellen und erwecken in ihrem Träger just dasselbe Gefühl.
Gefühlswellen können einige Meter Entfernung überwinden und Wände durchdringen. Hautkontakt verstärkt die Übertragung, ein geeignetes Stück magnetisiertes Metall, am Körper getragen, schirmt die Signale wirksam ab. Nähere Einzelheiten verschweigt der Roman – unvermeidlich, sonst würde die wissenschaftliche Unhaltbarkeit der Grundidee offenbar werden; zu allem Überfluss sind die Passagen zur Physik noch falscher, als diese Idee erfordert.
Aber das macht nichts. Fawer hat die Konsequenzen der kontrafaktischen Grundannahme meisterhaft zu einer höchst spannenden Geschichte verarbeitet.
Nur wenige Ausnahmemenschen, die Empathiker, verfügen überhaupt über eine ausreichende Sende- und/oder Empfangsleistung, um Empfindungen von ihren Mitmenschen aufnehmen oder an sie übertragen zu können. Sie sind regelmäßig Synästhetiker, also Leute, die "Farben hören und Töne schmecken" (Spektrum der Wissenschaft 9/1997, S. 118).
Auf den ersten Blick ist eine solche Begabung ungeheuer beneidenswert. Fawer spart zu Beginn nicht mit Szenen, in denen ein Mensch per Neuroresonanz seine heftige Liebe an einen anderen überträgt und daraufhin beide in den siebten Himmel des Glücks entschweben. Die totale Harmonie der Gefühle, auf drahtlosem Weg hergestellt – was will man mehr?
Nach dem streng materialistischen Standpunkt des Buchs sind Gefühle nichts weiter als neuronale Aktivitätsmuster. Die physiologischen Reaktionen wie Erröten, Herzklopfen oder Beklemmung, die wir als Folge von Gefühlen erleben, sind im Wesentlichen diese Gefühle selbst. Also ist ein von einem Empathiker induziertes Glück genauso echt wie ein selbst erlebtes, denn es ist, nun ja, eben selbst erlebt.
Wer willentlich Gefühle an andere übertragen kann, hat eine ungeheure Macht über seine Mitmenschen – und zieht damit unweigerlich finstere Mächte an, die diese Macht für ihre eigenen Zwecke einspannen wollen. Bei Fawer ist es "die Organisation", unter der man sich die CIA vorstellen darf. Ein kleiner Doktor Faustus verkauft für unbegrenzte Forschungsmöglichkeiten seine Seele an die Organisation und ergründet in brutalen Menschenversuchen die Wirkungsweise der Empathie.
Nicht nur für die amtlichen Finsterlinge des Romans ist dieses Phänomen neu; auch die Empathiker selbst werden von ihren Fähigkeiten, die ungefähr mit der Pubertät erwachen, überrascht. Wer mit ihnen zu tun hat, lernt den eigenen Gefühlen zu misstrauen: Ist der Lehrer selbst derjenige, den plötzlich diese Wut überkommt, oder stammt sie von seinem empathischen Schüler? Die schöne Darian macht sich den edlen Laszlo durch Ausstrahlung von Liebesgefühlen gefügig – und kann nicht verhindern, dass sie sich in ihn verliebt. Dagegen erkennt er viel später, dass sie ihn benutzt hat, und verstößt sie, weil er seinen und ihren – diesmal echten – Gefühlen nicht mehr traut.
Um ihre empathischen Schüler vor den Nachstellungen der Organisation zu schützen, blockieren die Lehrer ihre Fähigkeiten. Aber 15 Jahre später bricht diese Sperre, und die mittlerweile Erwachsenen müssen sehr mühsam lernen, mit ihren wieder erworbenen Fähigkeiten umzugehen. Inzwischen ist die finstere Organisation von einem Superbösewicht in den Schatten gestellt worden, dem stärksten Empathiker der Welt. Von krankhaftem Hass zerfressen, will er seine überlegenen Fähigkeiten für eine Mordserie globalen Ausmaßes nutzen. Die große Menschenmenge, die sich zu Silvester 2007 auf dem Times Square in New York versammelt, soll ihm dafür als Gefühlsverstärker dienen.
In seinem Verlauf gerät der Roman immer mehr ins Fahrwasser des klassischen amerikanischen Thrillers. Es gibt sehr viel Gewaltanwendung – die Empathie spielt dabei nur eine Nebenrolle – und zahlreiche Tote. Mit einem Übermaß an Rückblenden, die insgesamt mehr Verwirrung als Spannung erzeugen, steuert der Roman auf den Silvester-Showdown zu – und endet seltsam unschlüssig. Viele unterwegs geknüpfte Handlungsstränge führen am Ende ins Leere. Es siegen zwar – mit knapper Not, damit es spannend bleibt – die Guten, und der Superbösewicht liegt zertrampelt am Boden. Aber so wie der Roman gestrickt ist, könnte er das ohne Weiteres überraschend überleben; eine andere Bösewichtin, die am Ende lebendig wieder auftaucht, war zwischendurch übler zugerichtet.
Es scheint, als hätte der Autor sein Werk wegen drohender Überlänge vorzeitig zu Ende bringen müssen. Aber die Grundidee und ihre Durchführung sind richtig gut.
Wie das physikalisch vonstattengehen soll, muss man so genau nicht wissen. Niederfrequente elektromagnetische Wellen sollen es sein, erzeugt durch die kollektive Aktivität der Neurone im Gehirn eines Menschen. Die – in der Wissenschaft ernsthaft diskutierten – Spiegelneurone im Gehirn eines anderen Menschen geraten in Resonanz mit diesen Wellen und erwecken in ihrem Träger just dasselbe Gefühl.
Gefühlswellen können einige Meter Entfernung überwinden und Wände durchdringen. Hautkontakt verstärkt die Übertragung, ein geeignetes Stück magnetisiertes Metall, am Körper getragen, schirmt die Signale wirksam ab. Nähere Einzelheiten verschweigt der Roman – unvermeidlich, sonst würde die wissenschaftliche Unhaltbarkeit der Grundidee offenbar werden; zu allem Überfluss sind die Passagen zur Physik noch falscher, als diese Idee erfordert.
Aber das macht nichts. Fawer hat die Konsequenzen der kontrafaktischen Grundannahme meisterhaft zu einer höchst spannenden Geschichte verarbeitet.
Nur wenige Ausnahmemenschen, die Empathiker, verfügen überhaupt über eine ausreichende Sende- und/oder Empfangsleistung, um Empfindungen von ihren Mitmenschen aufnehmen oder an sie übertragen zu können. Sie sind regelmäßig Synästhetiker, also Leute, die "Farben hören und Töne schmecken" (Spektrum der Wissenschaft 9/1997, S. 118).
Auf den ersten Blick ist eine solche Begabung ungeheuer beneidenswert. Fawer spart zu Beginn nicht mit Szenen, in denen ein Mensch per Neuroresonanz seine heftige Liebe an einen anderen überträgt und daraufhin beide in den siebten Himmel des Glücks entschweben. Die totale Harmonie der Gefühle, auf drahtlosem Weg hergestellt – was will man mehr?
Nach dem streng materialistischen Standpunkt des Buchs sind Gefühle nichts weiter als neuronale Aktivitätsmuster. Die physiologischen Reaktionen wie Erröten, Herzklopfen oder Beklemmung, die wir als Folge von Gefühlen erleben, sind im Wesentlichen diese Gefühle selbst. Also ist ein von einem Empathiker induziertes Glück genauso echt wie ein selbst erlebtes, denn es ist, nun ja, eben selbst erlebt.
Wer willentlich Gefühle an andere übertragen kann, hat eine ungeheure Macht über seine Mitmenschen – und zieht damit unweigerlich finstere Mächte an, die diese Macht für ihre eigenen Zwecke einspannen wollen. Bei Fawer ist es "die Organisation", unter der man sich die CIA vorstellen darf. Ein kleiner Doktor Faustus verkauft für unbegrenzte Forschungsmöglichkeiten seine Seele an die Organisation und ergründet in brutalen Menschenversuchen die Wirkungsweise der Empathie.
Nicht nur für die amtlichen Finsterlinge des Romans ist dieses Phänomen neu; auch die Empathiker selbst werden von ihren Fähigkeiten, die ungefähr mit der Pubertät erwachen, überrascht. Wer mit ihnen zu tun hat, lernt den eigenen Gefühlen zu misstrauen: Ist der Lehrer selbst derjenige, den plötzlich diese Wut überkommt, oder stammt sie von seinem empathischen Schüler? Die schöne Darian macht sich den edlen Laszlo durch Ausstrahlung von Liebesgefühlen gefügig – und kann nicht verhindern, dass sie sich in ihn verliebt. Dagegen erkennt er viel später, dass sie ihn benutzt hat, und verstößt sie, weil er seinen und ihren – diesmal echten – Gefühlen nicht mehr traut.
Um ihre empathischen Schüler vor den Nachstellungen der Organisation zu schützen, blockieren die Lehrer ihre Fähigkeiten. Aber 15 Jahre später bricht diese Sperre, und die mittlerweile Erwachsenen müssen sehr mühsam lernen, mit ihren wieder erworbenen Fähigkeiten umzugehen. Inzwischen ist die finstere Organisation von einem Superbösewicht in den Schatten gestellt worden, dem stärksten Empathiker der Welt. Von krankhaftem Hass zerfressen, will er seine überlegenen Fähigkeiten für eine Mordserie globalen Ausmaßes nutzen. Die große Menschenmenge, die sich zu Silvester 2007 auf dem Times Square in New York versammelt, soll ihm dafür als Gefühlsverstärker dienen.
In seinem Verlauf gerät der Roman immer mehr ins Fahrwasser des klassischen amerikanischen Thrillers. Es gibt sehr viel Gewaltanwendung – die Empathie spielt dabei nur eine Nebenrolle – und zahlreiche Tote. Mit einem Übermaß an Rückblenden, die insgesamt mehr Verwirrung als Spannung erzeugen, steuert der Roman auf den Silvester-Showdown zu – und endet seltsam unschlüssig. Viele unterwegs geknüpfte Handlungsstränge führen am Ende ins Leere. Es siegen zwar – mit knapper Not, damit es spannend bleibt – die Guten, und der Superbösewicht liegt zertrampelt am Boden. Aber so wie der Roman gestrickt ist, könnte er das ohne Weiteres überraschend überleben; eine andere Bösewichtin, die am Ende lebendig wieder auftaucht, war zwischendurch übler zugerichtet.
Es scheint, als hätte der Autor sein Werk wegen drohender Überlänge vorzeitig zu Ende bringen müssen. Aber die Grundidee und ihre Durchführung sind richtig gut.
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