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Nachrichten vom betenden Tier

Spätestens wenn zwei Trends sich kreuzen, schlägt die Stunde der Publizisten. Einerseits beflügelte Richard Dawkins mit seinem provokanten Buch "Der Gotteswahn" (Spektrum der Wissenschaft 11/ 2007, S. 118) die Debatte um Religion und Wissenschaft; insbesondere das junge Gebiet der Neurotheologie lieferte dem alten Reizthema neue Nahrung. Andererseits tobt nach wie vor, im Darwinjahr neu angeheizt, die Debatte um die Evolutionstheorie.Missverständnisse und Ideologien durchziehen das biologische Terrain fast wie einst vor 150 Jahren.

Da kommen der Religionswissenschaftler Michael Blume und der Wissenschaftsjournalist Rüdiger Vaas mit ihrem Buch über "Gott, Gene und Gehirn" gerade zur rechten Zeit. Sie resümieren nicht nur den Stand der bereits recht unübersichtlich gewordenen Forschung zum Thema "Evolution der Religiosität". Sie gehen auch Fragen nach, die viele bewegen: Wieso sind Religionen so verbreitet? Warum prägen sie praktisch alle Kulturen seit Menschengedenken? Sind sie überhaupt reine Kulturprodukte? Hat Religiosität genetische Ursachen? Bietet sie in der Evolution einen Selektionsvorteil? Wohnt Gott im Hirn? Führt Religion zur Wahrheit?

Ihre These: "Es gibt einige neuro- und evolutionsbiologische Indizien für eine Natur und Naturgeschichte des Glaubens", das heißt für "spezifische biologische Grundlagen der Religiosität". Das möchte man gerne glauben, denn alles andere wäre wirklich erstaunlich. Aber im Detail erfordert die Klärung des Sachverhalts Jahrzehnte interdisziplinärer Forschung. Diese haben Vaas und Blume akribisch durchforstet, was allein die 16-seitige Literaturliste belegt; zahllose Fußnoten und ein Register erleichtern zusätzlich den Zugriff. Offenbar neigen Menschen vor allem in Notzeiten zu religiösem Glauben.

Darüber hinaus gibt es vor allem zwei Thesen. Erstens: Religion sei eine stammesgeschichtliche Adaption. Menschen, die ihr anhängen, überleben besser und haben mehr Nachkommen, so dass sie ihre Gene verstärkt an die nächste Generation weitergeben können. Schon in der Vorzeit stärkte Religion den Zusammenhalt von Gruppen, die sich für Jagd und Nachwuchspflege zusammenschlossen und so anderen Gruppen überlegen zeigten. Allerdings wollen bestimmte Glaubensinhalte wie der vom Leben nach dem Tod nicht recht zur Adaptionstheorie passen. Sie kann auch nicht den Ursprung der Religion erklären, sondern höchstens ihre Verbreitung.

Sind religiöse Erlebnisse so etwas wie epileptische Anfälle?

Die zweite These: Religiosität sei einfach ein natürliches Beiprodukt des menschlichen Verstands. Sie stelle sich ein, ohne dass im menschlichen Kopf ein "Gottesmodul" eingebaut sein müsste. Religiöse Empfindungen und vor allem die Erleuchtungserlebnisse, von denen viele Religionsstifter berichten, ereigneten sich wie epileptische Anfälle und seien sogar möglicherweise solche; und Epilepsie existiere auch nicht deshalb, weil sie einen Selektionsvorteil böte.

Die Existenz Gottes ist davon natürlich unberührt: "Warum Menschen an Gott glauben oder überhaupt außergewöhnliche und als religiös interpretierte Erfahrungen haben, darf nicht mit der Frage verwechselt werden, ob Gott existiert." Selbst wenn Religionen einen psychischen, sozialen oder evolutionären Nutzen hätten, so gelte doch: "Nützlichkeit ist nicht gleich Wahrheit".

An dem Buch hat mir gefallen, wie undogmatisch und kundig die Autoren sich ihrem Thema von vielen Seiten annähern, ohne in allzu rasche (Kurz-)Schlüsse zu verfallen. So meinen sie auch, dass die Adaptionshypothese trotz einiger Schwierigkeiten "nicht als widerlegt gelten" kann. Auch wenn sie umgekehrt noch nicht erwiesen ist, so wirke sie bereits über die Biologie hinaus. Atheisten und Agnostiker können darin "eine Stütze für ihre Überzeugung erblicken, dass der Glaube eine Illusion ist – aber vielleicht eine nützliche und daher besonders hartnäckige".

Das Forschungsgebiet der Evolutions- und Neurotheologie ist noch jung und entwickelt sich rapide. Dieses Buch liefert einen detaillierten Überblick in einer eher verwirrenden Gefechtslage. Die Selbstbescheidung von Blume und Vaas angesichts der Komplexität ihres Themas sehe ich daher als einen Vorzug: "Es ist besser, eine Frage zu diskutieren, ohne sie zu entscheiden", so zitieren sie den Schriftsteller Joseph Joubert, "als eine Frage zu entscheiden, ohne sie zu diskutieren."

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 4/2009

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