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Hirngespinste

Der Streit zwischen Glaube und Wissen war schon im alten Griechenland Ansporn für rhetorische Glanzstücke. In späteren Epochen änderten sich zwar Themen und Argumentationen, nicht aber die Fronten des Disputs. Aktuell dient die Hirnforschung als Kriegsschauplatz alter Stellungskämpfe um die gesellschaftliche Deutungshoheit. Mit dem Siegeszug der Neurowissenschaften werden nämlich bislang als selbstverständlich geltende Voraussetzungen unseres Menschenbilds in Frage gestellt.

Mit guten Argumenten gewappnet hat jetzt ein Theologe die Arena betreten und die Herausforderung durch die Naturwissenschaftler angenommen. Aus der Perspektive christlicher Theologie stellt sich Ulrich Eibach provokanten Thesen der Hirnforschung: Der menschliche Wille sei in Wahrheit neuronal determiniert, der einheitliche Ich-Kern der Persönlichkeit eine Illusion und Bewusstsein das Ergebnis von Hirnprozessen. Was sagt ein Theologe zu solchen Angriffen auf das christliche Menschenbild?

Eibachs Buch besticht durch seine präzise Fragestellung und klare Position. Der Autor wirft der aktuellen Hirnforschung die "Ausklammerung oder gar Leugnung eines Subjekts und seines Erlebens" vor. Das Leben in all seinen Fassetten werde auf biologische Mechanismen reduziert. Ein solcher neurowissenschaftlicher Reduktionismus müsse jedoch vor der Komplexität von Körper, Seele und Geist kapitulieren.

Differenziert geht Eibach auf Möglichkeiten und Grenzen der wissenschaftlichen Erforschung religiösen Erlebens ein. Zwar können Forscher neurophysiologische Korrelate elementarer Bewusstseinszustände erfassen. Diese dürften aber nicht mit den erlebten Inhalten selbst verwechselt werden. Es gelte, deutlich zwischen Sender, Empfänger und Inhalt einer Information zu unterscheiden. Hinsichtlich der umstrittenen Willensfreiheit gibt Eibach zu bedenken, dass mit ihrer Abschaffung auch die Würde des Menschen in Frage stehe. Aus christlicher Sicht stellt er dieser Sichtweise die "heilsame Begrenzung der Freiheit" gegenüber. Wer keine Grenzen kenne und akzeptiere, werde maßlos und vermessen.

Der Autor erinnert an die Unterscheidung von Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf sowie daran, dass die natürliche Angewiesen- und Verwiesenheit des Menschen auf andere der Vorstellung absoluter Freiheit widerspreche. Als Seelsorger und Hochschullehrer schreibt Eibach besonnen und klug. Kenntnisreich referiert er aktuelle Forschungsergebnisse, bevor er seine theologischen Zweifel formuliert.

Es sind besonders zwei seiner Argumente, die allen neuropsychologischen Enthusiasten nicht gefallen werden: Eibach begrüßt die medizintechnischen Fortschritte, aber erinnert eindringlich daran, dass verfeinerte Messdaten an sich noch kein schlüssiges Erklärungsmodell enthalten. An mehreren Beispielen belegt er zudem, dass neurophysiologische Erkenntnisse je nach weltanschaulichen Vorgaben ganz unterschiedlich gedeutet werden können. Ohne Scheu verteidigt der Theologe den jüngst viel gescholtenen Materie-Geist-Dualismus mit zahlreichen bedenkenswerten Erklärungen. Diese Vorstellung sei deshalb unübertroffen, weil sie der menschlichen Lebenserfahrung gerecht werde und zugleich die Endlichkeit menschlichen Wissens und Wahrnehmens anerkenne.

"Gott im Gehirn?" ist anschaulich geschrieben. Auf Grund seiner ungewöhnlichen Perspektive ist es trotzdem nicht einfach zu lesen. Es enthält kritische Anregungen, die dem Mainstream widersprechen, über die nachzudenken sich aber lohnt.
  • Quellen
Gehirn&Geist 11/2006

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