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Am Rand des Unbekannten

Das Buch von Helmut Satz hebt sich wohltuend aus der Flut von populärwissenschaftlichen Werken zum Thema Teilchenphysik/Kosmologie ab. Der Autor war Professor für Theoretische Physik an der Universität Bielefeld und hat einige Jahre am CERN verbracht. Er kann die anspruchsvolle Materie kompetent und verständlich vermitteln, was durchaus nicht jedem Professor gelingt. Das Buch ist ein Genuss und allen zu empfehlen, die wissen möchten, was beim Erforschen des Mikro- und Makrokosmos an "vorderster Front" geschieht. Diese gegensätzlichen Welten sind ja heute durch die Standardmodelle der Teilchenphysik und Kosmologie eng verknüpft – man denke etwa an den Urknall, die kosmische Inflation, Schwarze Löcher oder Dunkle Materie sowie Dunkle Energie.

Im Buchtitel taucht der Begriff "Gott" auf, weshalb man einen Bezug zur Religion vermuten könnte. Das ist nicht der Fall – auch nicht im Sinne von Einsteins Naturreligion, der im Hinblick auf die Quantenphysik den Spruch "Gott würfelt nicht" geprägt hat. Das Buch bleibt stets auf dem festen Boden der Naturwissenschaft. Das bedeutet aber keineswegs trockenen Stoff, zuweilen geht die Darstellung sogar ins Poetische. Dem Autor gelingen wunderbare Metaphern, besonders in Bezug auf Themen wie Horizont, Symmetrie und Teilbarkeit, die das ganze Buch durchziehen.

Gekonnt macht Satz dem Leser verständlich, dass in der Physik Grenzen des Erforschbaren existieren. Solche "verbotenen Räume" sind etwa Schwarze Löcher, die sich hinter einem Ereignishorizont verbergen, oder das expandierende Universum, das wir nur bis zur Hubble-Sphäre einsehen können, weil die Lichtgeschwindigkeit endlich ist. Aber auch im Mikrokosmos gibt es Horizonte, etwa bei den Quarks, die in Ensembles gefangen sind ("Confinement"). Schließlich definiert die Quantenphysik den "wohl spukhaftesten aller Horizonte, die Grenze zwischen dem Wirklichen und dem Möglichen". In der Quantenphysik werde das Ende der Bestimmbarkeit erreicht und fange "Gott in der Tat an zu würfeln", schreibt der Autor.

Dass trotzdem sinnvolle Erkenntnisse gewonnen werden können, verdanken wir insbesondere den Symmetrien. Sie wirken im Großen wie im Kleinen und führen zu wesentlichen Vereinfachungen. Es ist aber auch deren Bruch, der die Welt in Gang hält. Ein gutes Beispiel hierfür sind Phasenübergänge. So sind etwa Ensembles von Wassermolekülen im flüssigen Zustand symmetrisch in Bezug auf jede Drehachse und jeden Drehwinkel. Wird das Wasser jedoch zu Eis, gilt die Symmetrie aufgrund der Kristallstruktur nur noch für bestimmte Drehachsen und –winkel. Eine spannende Frage, mit der sich der Autor befasst, ist auch jene nach den kleinsten, unteilbaren Einheiten der Natur. Satz spannt bei diesen schwierigen Themen immer wieder einen Bogen von den frühen Vorstellungen, etwa der Griechen, zur modernen Physik.

"Gottes unsichtbare Würfel" ist übersichtlich in sechs Kapitel unterteilt. Leider enthält es nur wenige Bilder und Grafiken. Diese sind aber sinnvoll eingefügt und ergänzen den hervorragenden, praktisch fehlerfreien Text sehr gut. Das Buch schließt mit zwei interessanten Anhängen. Im ersten geht es um die "Sprache der Physik", das heißt um die Bedeutung der Mathematik beim Beschreiben der Welt. Die daran anschließenden "Anmerkungen und Ergänzungen" vertiefen diverse physikalische Themen anhand von Formeln, etwa die relativistische Bewegung oder das Ising-Modell zur Beschreibung des Ferromagnetismus in Festkörpern. Leider gibt es nur ein Personen-, aber kein Sachregister.

Insgesamt lotet das Werk die "Grenzen des Erforschbaren" auf inspirierende Weise aus. 200 Seiten, die sich wirklich lohnen!

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