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Selbstmedikation - Kostendämpfung oder Steigerung?

Über die Gesundheitsreform wurde in der letzten Zeit so viel diskutiert, dass jetzt – wo sie eine beschlossene Angelegenheit ist – endgültig niemand mehr weiß, was sich eigentlich alles wandelt. Eins steht jedoch fest: Die ärztliche Versorgung wird noch kostspieliger, und bereits jetzt suchen die meisten Menschen lieber gleich eine Apotheke auf und sparen sich damit den Besuch beim Arzt.

Rund 4,6 Milliarden Euro gaben die Deutschen im Jahr 2005 für nicht verschreibungsmittelpflichtige Arzneimittel aus und behandelten sich auf diese Weise selbst. Tatsächlich ist eine Selbsttherapie mit Medikamenten in vielen Fällen möglich. Diese Auffassung wird jedenfalls im "Handbuch Selbstmedikation" vertreten – geschrieben von der Biologin Annette Bopp und der Apothekerin Vera Herbst.

Auf 752 Seiten informiert die stark erweiterte zweite Auflage über die medikamentösen Möglichkeiten und Grenzen der Selbstbehandlung von mehr als siebzig Krankheiten. Das Buch stellt die Ergebnisse der Stiftung Warentest vor, die 2000 Präparate bewertete. Neu aufgenommen wurden Medikamente, die seit 2004 nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden dürfen und nun ohne Rezept in der Apotheke gekauft werden können. Die Wirksamkeit der Präparate wird nach einem vierstufigen Bewertungsmodell von "geeignet" bis "wenig geeignet" beurteilt. Die Beurteilung folgt offenbar strengen Richtlinien: Immerhin 35 Prozent der Präparate werden für "wenig geeignet" gehalten. Zusätzlich weist das Buch auf Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln hin, und im Anhang findet sich ein Preisvergleich für Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff.

Problematisch ist, dass die Grundlagen der Bewertung nicht exakt dargestellt sind. "Basis der Arzneimittelbewertung ist die veröffentlichte internationale und nationale Literatur" steht lediglich geschrieben. Es wird versichert, dass die Literatur "allgemein anerkannt" und "aktuell" sei. Doch auf welche Studien sich das Buch im Einzelnen bezieht, bleibt im Dunklen: Ein Literaturverzeichnis fehlt.

Das Buch widmet sich den verschiedensten Störungen und Krankheiten – angefangen bei Akne über Schnupfen bis hin zu Durchfall und Osteoporose. Es ist nach den Organen beziehungsweise Funktionssystemen des Körpers geordnet, sodass beispielsweise Mittel gegen Bindehautentzündung im Kapitel "Augen" zu finden sind. Der Schreibstil ist einleuchtend, und auch bei einem medizinischen Laien dürften keinerlei Verständnisprobleme aufkommen. Ein umfangreiches Register stellt sicher, dass nahezu jeder wichtige Begriff schnell gefunden werden kann.

Darüber hinaus stellen die Autoren nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen der Selbstbehandlung dar. Bei jeder Erkrankung ist ein Zeitraum oder ein "Schmerzlimit" angegeben, bei dessen Überschreitung ein Arzt aufzusuchen ist. Es besteht jedoch die Gefahr, dass ein medizinischer Laie, dem das in einem sechsjährigen Medizinstudium und einer mehrjährigen Facharztausbildung vermittelte Wissen fehlt, diese Grenze verkennt: Der Laie geht erst dann zum Arzt, wenn es bereits zu spät ist. So muss beispielsweise eine eitrige Mandelentzündung schnellstmöglich mit verschreibungspflichtigen Antibiotika behandelt werden. Andernfalls kann die Entzündung streuen und es zu einer Entzündung der Herzklappen kommen. Und das kann den Patienten und das Gesundheitssystem teuer zu stehen kommen.

"Das Buch sollte in jeder Familie vorhanden sein", meint Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Ob damit die von ihr erhoffte Kostendämpfung eintritt, ist jedoch nicht sicher.

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