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Ist der Wille wirklich frei?

Wie frei ist der Mensch in seinen Entscheidungen? Hierüber wird zurzeit intensiv diskutiert. Bekannte Hirnforscher sind der Überzeugung, dass unbewusste Prozesse des Gehirns bewusstes Handeln steuern. Da der Mensch diese Vorgänge nicht beeinflussen könne, sei der freie Wille lediglich eine Fantasievorstellung. In seinem Buch "Hirnforschung und Erziehung" bezieht der Pädagoge Otto Speck aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive Stellung.

Gemäß Speck ist Moral eine "biologische Kategorie". Somit wird deutlich, dass sein Buch nicht nur für Hirnforscher und Pädagogen, sondern auch für Philosophen, Theologen und viele andere von Interesse ist und den Anstoß für eine vielschichtige interdisziplinäre Diskussion geben kann. Gleich zu Anfang geht Speck auf die Aussagen der Hirnforscher ein: Neurone und ihre Verschaltungen steuern und bestimmen Emotionen, Denken und Handeln; ein eigenes Ich oder Selbst existiert nicht; somit gibt es für den Menschen keine Entscheidungsfreiheit.

Speck widerspricht. Zwar stimmt er zu, dass das physiologische Gehirn Emotionen, Denken und Aktionen steuert, hält jedoch entgegen, dass sich physiologische Vorgänge im Gehirn durch bewusste Aktionen steuern und regulieren lassen können. Daher gibt es nach Auffassung von Speck sehr wohl ein autonomes Ich, das physiologische Vorgänge im Gehirn kontrollieren kann. Menschen können somit über ihr Handeln frei bestimmen.

Verfügt der Mensch über die Fähigkeit, sein Tun in eigener Regie zu planen, muss er richtiges Verhalten erlernen. Wie die Hirnforscher bereits erkannten, ist das Gehirn ein sich selbst organisierendes Gehirn, bei dessen Entwicklung frühkindliche Erfahrungen eine wichtige Rolle spielen. Eine hohe Bedeutung misst Speck einer stabilen und sicheren Umwelt zu, in der ein Kind sich geborgen fühlt. "In Gang gebracht wird die Selbstorganisation des Gehirns durch eine Interaktion mit der Umwelt. Diese Umweltaktivität macht das Gehirn zu einem interaktiven oder sozialen Organ", schreibt Speck. Eine optimale Umwelt bietet einem Kind die Gelegenheit zu einer produktiven Interaktion, und nur in einem kreativen Wechselspiel ist die bestmögliche Entfaltung möglich.

Eltern und Früherziehern haben die wichtige Aufgabe, Kinder in den entscheidenden ersten Lebensjahren zu fördern. Die Erziehung durchläuft zwei Schritte: Als Erstes festigt sie bereits vorhandene moralische Empfindungen durch Regeln, um in einem zweiten Schritt aufzuzeigen, wie spontane Entscheidungen gemäß den moralischen Prinzipien geordnet werden können. Zwar kommt den ersten Lebensphasen eine besondere Bedeutung bei der Entwicklung zu, jedoch ist es für das Lernen nie zu spät: Gehirne sind bis ins hohe Alter formbar.

Zum Abschluss seines Buches regt Speck eine interdisziplinäre Diskussion an, von der alle profitieren. Speck betont, dass viele der neuen neurobiologischen Erkenntnisse auch für die Erziehungswissenschaften von Nutzen und Grundlage praktischen Handelns sein können. Fazit: "Hirnforschung und Erziehung" ist ein übersichtlich gegliedertes und gut strukturiertes Buch zu einem angemessenen Preis, das grundlegend analysiert, manchmal auch provoziert und zugleich interdisziplinäre Verbindungen schafft.

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